eCall: die 170-Milliarden-Euro-App

Heimlich, still und leise haben EU-Parlament, EU-Kommission und Ministerrat die Frage geklärt, wer die Daten aus den vernetzten Autos erhalten wird. Versicherungen, Autohersteller und auch der ADAC erheben Anspruch auf die Daten. Die Autofahrer wurden nicht gefragt. Denn es geht um viel Geld: Offensichtlich wollte sich niemand wegen Datenschutzdiskussionen das Milliardengeschäft verderben lassen.

E-Call: Die 170-Milliarden-Euro-App (Bild: Shutterstock/Rob Wilson)Insider vermuten, dass Industrie- und Lobbyverbände die Diskussion rund um den eCall absichtlich flach hielten. Nach den Aufregungen um die NSA, um Edward Snowden und die Sicherheitslücken in Cloud-Anwendungen sei den Bürgern die Connected-Car-Strategie der Industrie und der Versicherungsbranche schwer zu vermitteln. Denn diese Akteure möchten schon in wenigen Jahren sämtliche Daten der Autos und ihrer Fahrer über die mobilen Netzwerke in Rechenzentren übertragen, dort speichern, analysieren und für Milliardenumsätze nutzen. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden am 4. Dezember im Rahmen der eCall-Gesetzgebung die rechtlichen Grundlagen dafür gelegt. In Betrieb gehen soll das eCall-System spätestens am 31. März 2018.

Hinter diesem europaweiten Notrufsystem steckt eine gigantische IT-Infrastruktur, die von 28 Ländern betrieben wird. Hunderte Millionen Autofahrer mit etwa 230 Millionen PKWs sollen nach einem Unfall innerhalb von Millisekunden auf diese Infrastruktur zugreifen: Die eCall-Box im Fahrzeug schickt eine SMS-Nachricht über die europaweit einheitliche 112-Notrufnummer an die nächste Rettungsleitstelle. Von dort ruft ein Mitarbeiter im Auto an, verifiziert die Meldung und schickt Hilfe.

Doch es ist völlig klar, es gibt keine Lebensrettung, ohne ein tragfähiges Geschäftsmodell. Und das heißt bei eCall „Zusatzdienste“. Der ertragreichste Zusatzdienst ist der „Werkstattruf“. Bleibt ein Fahrzeug mit einem Schaden liegen, klicken die Fahrer auf diese Werkstattruf-App. Die schickt über einen zweiten Kanal der eCall-Box eine Nachricht in das Call-Center ihres Autoherstellers. Die Call-Center-Mitarbeiter nehmen den Schaden auf und schicken einen Werkstattwagen. Die folgende Rechnung ist so einfach wie brutal: Das Unternehmen, das als erstes bei einem liegengebliebenen Fahrzeug ankommt, hält alle weiteren Prozesse in der Hand.

Kein Wunder, dass in Brüssel die Nerven blank liegen. Denn es geht um atemberaubende Summen: Der Markt in Deutschland allein für den Service der Kfz-Betriebe – dazu zählen Lohn, Teile und Zubehör – hat laut dem Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe einen Wert von 32 Milliarden Euro. Innerhalb eines Jahres setzen die Unternehmen in Europa nach Angaben von CECRA mit Kunden- und Teiledienst sogar 170 Milliarden Euro um – das sind Tag für Tag sagenhafte 465.753.424 Euro.

Das Konzept des GDV für eine E-Call-Telematik-Plattform. Eine standardisierte Schnittstelle erlaubt den Zugang zur Plattform. Diese ist in zwei Ebenen unterteilt. Die Fahrzeugebene liefert über weitere standardisierte Schnittstellen Daten. Die App-Ebene kommuniziert über die standardisierten Schnittstellen mit dem Fahrzeug, um die Daten zu empfangen und zu senden, die sie für den vom Kunden gewünschten Dienst benötigt (Grafik: GDV)Das Konzept des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) für eine eCall-Telematik-Plattform. Eine standardisierte Schnittstelle erlaubt den Zugang zur Plattform. Diese ist in zwei Ebenen unterteilt. Die Fahrzeugebene liefert über weitere standardisierte Schnittstellen Daten. Die App-Ebene kommuniziert über die standardisierten Schnittstellen mit dem Fahrzeug, um die Daten zu empfangen und zu senden, die sie für den vom Kunden gewünschten Dienst benötigt (Grafik: GDV). 
Das Fachmagazin carIT berichtete Anfang dieser Woche als erste Publikation über diese ertragreichen Zusatzdienste über die E-Call-Box-Kanäle. Im Interview mit dem Magazin zeigte sich Bernfried Coldewey, Projektmanager Telematik, ADAC e.V. darüber erstaunt, dass „bei dem jetzigen Gesetzentwurf der gesamte wettbewerbliche Aspekt rund um die Zusatzdienste komplett außen vor ist und dass hier keine gesetzliche Regelung vorgesehen ist.“

Tatsächlich liefen die Versicherungen, die freien Werkstätten und auch der Automobilclub Sturm. Pikanterweise protestierten sie, weil sie selber Anspruch auf den Zugriff auf die Daten aus den Fahrzeugen erheben. Denn auch sie wollen mit den Telematikdiensten über die Funkverbindung der eCall-Box Geld verdienen, beispielsweise selber eine Werkstattruf-App anbieten. Deshalb forderten sie, dass die EU die Zusatzdienste in den eCall-Gesetzen regelt.

Sie haben sich nur teilweise durchgesetzt – und so sieht der heute veröffentlichte Gesetzentwurf eher wie ein Kompromiss zwischen den beiden Seiten aus: Es wird zwar eine offene Telematik-Plattform in den Autos geben, die über die eCall-Schnittstelle kommuniziert, aber sie wird nicht vor 2018 bereit stehen.

So können die Verbraucher bis dahin eben nicht frei wählen, wer die Zusatzleistungen für sie erbringt – beispielsweise sein Versicherer, eine freie Werkstatt, der Automobilhersteller, Assisteur oder Automobilclub. Und es wird die Gefahr bestehen, dass die Autobauer ihre Kunden nach einem Unfall bevorzugt in eigene Niederlassungen lotsen.

„Was die über den eCall hinausgehende Frage der Nutzbarkeit von im Fahrzeug verfügbaren Daten für weitere Dienste angeht, so ist die Automobilindustrie bereit, gemeinsam einen Lösungsansatz zu entwickeln. Dabei müssen aber alle Anforderungen an Verkehrs- und Funktionssicherheit, Datensicherheit und Datenschutz zwingend erfüllt sein“, verspricht der Verband der Automobilindustrie.

Es ist keine Frage – der VDA ist eindeutig in der besseren Position, die Autoindustrie kann sich zurücklehnen. Denn inzwischen hat die Branche – unter Führung der Premium-Marken – damit begonnen, eine eigene, private eCall-Infrastruktur aufzubauen. Der Schlüsselgedanke ist, dass sich die Hersteller außerhalb der von der Europäischen Union vorgegebenen eCall-Gesetzgebung bewegen. Denn hier handelt es sich um ein privatwirtschaftliches Rettungsangebot.

Die sogenannte „private“ Notruf-Box – das neue Gesetz bezeichnet sie als „eCall-Supported Third Party Services“ – im Fahrzeug löst zwar ebenfalls nach einem Unfall einen Rettungsruf aus. Der geht aber nicht an die 112. Vielmehr landet dieser Anruf zunächst bei einem der über die Welt verteilten Call-Center, die ein Dienstleister für oder gemeinsam mit dem Autohersteller betreibt.

Laut Darstellung eines Sprechers von Daimler werde der Anruf in der Sprache des Verunglückten angenommen und an die, dem Unfallort am nächsten gelegene Rettungsstelle weitergeleitet. „Private Notruflösungen sind bereits seit Jahren im Markt etabliert und leisten schon heute einen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Der europäische Gesetzgeber hat sich allerdings entschlossen, verpflichtend einen eCall einzuführen“, erklärt der VDA weiter. Das neue Gesetz erlaubt die privaten Notruflösungen, schreibt aber den öffentlichen eCall als zweite Lösung im Fahrzeug vor.

Kfz-Handwerk, Lohn Teile Zubehör Umsatz in Milliarden Euro inkl. MWst.
(Quelle: Deutsches Kfz-Gewerbe – Zentralverband)

2008 28,0135
2009 28,1036
2010 28,9524
2011 29,3061
2012 30,2423

Hierum streiten sich Verbände und Lobbyisten: Derjenige, der einen Pannenservice zum Unfallort schicken kann, wird große Teile des Werkstattnetzes kontrollieren. Hier winken den Herstellern, Werkstätten, Versicherungen, Pannendiensten und Automobilclubs Milliardenumsätze, die nach der Verabschiedung der eCall-Gesetze neu aufgeteilt werden könnten. Während der Umsatz der Werkstätten seit Jahren stetig wächst und inzwischen einen Wert von fast 31 Milliarden Euro erreicht hat, stagnieren gleichzeitig die Anzahl der Kfz-Betriebe und der dort Beschäftigten.

Themenseiten: Analysen & Kommentare, Auto & IT, Politik

Fanden Sie diesen Artikel nützlich?
Content Loading ...
Whitepaper

Artikel empfehlen:

Neueste Kommentare 

12 Kommentare zu eCall: die 170-Milliarden-Euro-App

Kommentar hinzufügen
  • Am 5. Dezember 2014 um 9:17 von DS

    Und welche Daten werden noch erhoben? Wo gehen die Daten hin? Kann man den ganzen Spaß auch ablehnen bzw. deaktivieren? Ich will nicht gläsern sein!

    • Am 5. Dezember 2014 um 17:33 von punisher

      Leider haben wir diese Entscheidung nicht zu treffen, da unsere von Konzernen gekauften Politiker diesen Weg schon geebnet haben und ihn weiter ausbauen. Sie werden ja schließlich dafür belohnt.

      • Am 11. Dezember 2014 um 16:57 von CR

        Diese Verschwörungstheorien sind ermüdend. Die Diskussion um eCall läuft seit etlichen Jahren und wenigstens der politische Teil der Diskussion ist auf den Webseiten der Europäischen Union sehr gut dokumentiert und gut zu recherchieren. Das Problem ist aus meiner Sicht nicht, dass irgendjemand etwas macht „was er will“. Das machen wir doch alle, oder? Vielmehr gibt es viel zu viele Menschen, die sich einfach nicht dafür interessieren, was andere Leute machen. Und das sind die, die am Ende alle S***ße finden und jammern. Schauen Sie mal hier: Es ist ein wenig schwierig zu lesen, aber hier könnten Sie mit Ihrer Recherche beginnen:
        http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0154+0+DOC+XML+V0//DE

    • Am 6. Dezember 2014 um 0:05 von R.Debus

      Man ist ihnen vollkommen ausgeliefert. Das System kann alle Daten weiterleiten.Sie haben keine Kontrolle über die Menge der Daten. Es wird möglich sein zb. Geschwindigkeit, Position, Fahrziel (durch Navi), Anzahl der Personen im Fahrzeug (Sitzsensor), usw, abzurufen. Man wäre in der Lage Geschwindigkeitsbeschränkungen durchzusetzen, es geht halt nicht schneller! Man könnte ihr Fahrzeug einfach stoppen, kein Problem. Dank des Staates müssen wir dieses als Lebensrettungssystem getarnte Überwachungssystem noch selbst bezahlen.

    • Am 9. Dezember 2014 um 15:28 von CR

      Die Rechenzentren können auf einer Straßenkarte verfolgen, wann Sie wo gebremst und an welcher Stelle Sie beschleunigt haben. Die Anwendungen dort können Ihnen Vorschläge machen, wie Sie die gleiche Strecke nachhaltiger und Kraftstoff sparender fahren können. Die Data Center speichern, wann und wo und wie viel Sie getankt haben. Es ist in den Systemen bekannt, ob Sie mit Karte oder in bar bezahlt haben. Und ob Sie an der Tankstelle auch noch ein Mickey Maus Heft mitgenommen haben oder eine Packung Zigaretten oder ob Sie einen Kaffee getrunken haben. Und das ist nur der Anfang einer nahezu endlosen Liste.

  • Am 7. Dezember 2014 um 2:58 von C

    1. Meine Daten gehören nur mir.
    2. Meine PKW habe Ich gekauft, also gehören die PKW Daten auch nur mir.

    Da Ich ältere KFZ habe (27 & 22 Jahre) bin Ich zunächst nicht vom eCall betroffen.
    Wie ist die Rechtslage bei neueren PKW beim Fahrzeugkauf? Erwerbe Ich hier nur eine Lizenz (mit EULA) für die im PKW installierte Software beim Fahrzeugkauf, in der Ich explizit der Daten-Nutzung durch den PKW-Hersteller zustimme?
    Wenn die Software in mein Eigentum & Besitz übergeht – wie kommt der Hersteller (oder ADAC oder sonst jemand) auf die Idee, die Daten unterliegen seiner Verfügungsgewalt?

    Kann hier jemand – rechtlich gesichert – aufklären?

    • Am 8. Dezember 2014 um 23:45 von R.Debus

      Hier ein interessanter Bericht https://www.youtube.com/watch?v=4JCq9IxCzbM
      Es sollen ca. 2500 Unfallopfer verhindert werden, ok. Wer es möchte kann es nutzen, als persönliche Sicherheitseinrichtung. Für die Konzerne ist es natürlich wichtig, das System in alle Fahrzeuge zu verbauen. Dies funktioniert jedoch nur, wenn es zur Pflicht wird, also gesetzlich vorgeschrieben. Die Kosten trägt nun der Autokäufer. Der Hersteller hat die Möglichkeit die Daten des Kunden zu verwerten, Versicherungen, Werkstätten, Polizei…….Es tut gar nicht weh, jedenfalls noch nicht!

    • Am 9. Dezember 2014 um 15:33 von CR

      Ein Hinweis auf diesen Artikel:

      http://www.handelsblatt.com/auto/ratgeber-service/interview-die-rechtliche-situation-ist-unklar/9410858.html

      „Es gibt kein zivilrechtliches Eigentum an Daten. Das ist die große Lücke in unserer Rechtsordnung. Wir können aber versuchen, jemandem eine primäre Zuständigkeit für die Daten zuzuordnen, zumindest als Ausgangspunkt für vertragliche Regelungen.“

      …und:

      „Wenn die Daten anonymisiert und aggregiert sind, fallen sie nicht unter den Datenschutz. Die entscheidende Frage ist insoweit, ob der Datenschutz gelingt. Denn sehr viele Daten sind durch die Verknüpfung unterschiedlicher Quellen leicht de-anonymisierbar.“

    • Am 9. Dezember 2014 um 16:14 von C

      @R.Debus & @CR

      Danke für die Hinweise.

      Aktuell nehme Ich mit, dass es da rechtlich eine nicht geregelte Grauzone aktuell gibt.

      Da Ich mit meinen alten PKW nicht mehr zu Hersteller-Werkstätten fahre (keine Ersatz-Teile mehr) habe Ich weniger das Problem. Die jüngeren PKW-Eigentümer werden hier wohl eher betroffen sein. Mich trifft es, wenn Ich meine alten PKW ersetzen muss.

  • Am 12. Dezember 2014 um 16:09 von nastyxx

    Manchmal kann man dieses „verhindert eine x Zahl an Toten“ nicht mehr hören. Dieses eCall kann man fast gleichsetzen mit dem Pflicht-Reifenluftdruckprüfsystem was ja neuerdings vorgeschrieben ist. Angeblich fahren ja soviel Fahrzeuge mit zu niedrigem Luftdruck.
    Woher wollen die das wissen? Meine Winterreifen haben in 6 Monaten Lagerzeit wieviel verloren?: 0,1 Bar.
    Soviel dazu.

    Diese ganze Vernetzung im Auto will ICH persönlich nicht; ebenso ist damit das große Scheunentor für die Permanentüberwachung offen, und die würde kommen.

    Wenn sich die Lobby wieder einmal in den Ministerien durchsetzt hilft nur eins: Neufahrzeuge beim Kauf boykottieren. Letztendlich zahlt der Käufer den ganzen Kram für diese Spielerei.

    Und mal ehrlich: diese 1000% Rundum-Lebens-Versicherungspakete nerven doch auch langsam. Das Leben birgt Gefahren, und dazu gehört es auch das Menschen Unfälle haben und daran sterben.

    • Am 20. Dezember 2014 um 9:36 von CR

      Das Ziel der Politik und der Autoindustrie ist es, die Zahl der Verkehrstoten auf „Null“ zu senken. Also, die wollen nicht die Autos bschaffen, sondern die Autos so „Sicher“, „Intelligent“, „Smart“, &c. pp. machen, dass die Fahrer mit ihren Fahrzeugen keinen Menschen mehr verletzten oder töten können. Die Argumentation ist, dass dieses ethisch so hohe Ziel alle möglichen Überwachungen oder Eingriffe rechtfertigt. Was ich sagen möchte: Überwachung und Bevormundung der Autofahrer sind schon lange beschlossen, begründet und lassen sich nicht mehr aufhalten.

  • Am 6. Januar 2015 um 16:50 von D

    Interessant, hatte ich in diesem Umfang noch nicht gesehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *