Microsoft-Urteil: Es geht nicht um Bußgelder

Nehmen wir also zugunsten aller Windows-Anwender an, dass auch bei Microsoft Software-Entwickler, schon während der Programmierung zu einer klaren Dokumentation angehalten sind. Insofern bieten sich andere Deutungen für die Aufgabe der 300 Microsoft-Fachleute an. Microsoft argumentiert zu Recht mit den Schwierigkeiten, die rund 50 Millionen auf zigtausende von Dateien verteilten Codezeilen so aufzubereiten, wie die EU-Kommission es verlangt. Weniger glaubhaft erscheint, dass die EU-Kommission ihre Anforderung gleich sechs Mal so unklar formuliert haben soll, dass man sie nicht befriedigen konnte.

Ein Teil des Zeitaufwandes dürfte eher daher rühren, dass Microsoft versucht, den Offenlegungsauflagen in einer Weise nachzukommen, die zwar rechtlich nicht anfechtbar ist, gleichzeitig aber den Mitbewerbern so wenig Informationen gibt wie möglich. Der Abstimmungsbedarf zwischen Technikern und Geschäftsführung dürfte hier enorm sein, schließlich lebt der Software-Konzern nach wie vor von der Nutzung seines Betriebssystem-Monopols und der intimen Kenntnis des Source-Codes, insbesondere der Schnittstellen. Microsoft drängt traditionell Konkurrenzprodukte vom Markt, indem es hauseigene Nachbauten als kostenlose zusätzliche Betriebssystem-Funktionen in Windows einbaut oder sie als eigenständige Anwendungen zumindest rascher und besser einbindet, als ein Mitbewerber das könnte.

Ein weiterer Grund mag darin liegen, dass Microsoft auf bewährte Weise auf Zeit spielt. Es sei daran erinnert, dass gegen Microsoft wegen seiner Geschäftspraktiken fast die gesamten 90er Jahre hindurch ermittelt und schließlich zu einer Aufspaltung des Konzerns verurteilt wurde dann aber die Aufhebung des Urteils durch die von ihr unterstützten Bush-Administration erreichte.

Zu den Taktiken gehörte schon damals, die Gerichte mit gewaltigen Mengen an technischen Informationen zu überfordern. Ähnlich hat sich der Konzern in Europa gegenüber Regierungen verhalten, die den Windows-Code aus sicherheitstechnischen Gründen sichten wollten. Der Verdacht liegt also nahe, dass man auch der EU-Kommission zumutete, sich aus der Gesamtdokumentation zu 50 Millionen Codezeilen die relevanten Schnittstellen-Informationen herauszufiltern.

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1 Kommentar zu Microsoft-Urteil: Es geht nicht um Bußgelder

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  • Am 24. Juli 2006 um 16:43 von Christoph

    Interessaner Artikel, doch leider sehr polemisch!
    Interessane Meinung, aber teilweise sehr polemisch.

    Wie kann man sich anmaßend, das Gutachten von OVUM mit nur einer Aussage komplett für nichtig zu erklären: Die haben das nur gesagt, weil … In vielen Punkten haben sie einfach Recht. Wie kann man eine Strafe aussprechen, indem man einen ausgemachten Zeitplan einfach ignoriert? Die EU darf also Absprachen brechen.

    Besonders lustig finde ich auch, wie versucht wird, MS als Ursache/Ursprung für erpresserischen Umgang mit Zulieferern und Mitbewerbern darzustellen. Sehr dünn und einseitig, zumalen fehlen hier die Belege.

    Besonders unpassend und auch unwahr finde ich die pauschale Behauptung, das Geschäftsmodell von MS würde nur auf Ausnutzung des Monopols hinauslaufen. Als ob alle Erfolge seitens MS nur durch illegale Aktionen erreicht worden wären. Beim IE mag es stimmen, es sollte aber auch erwähnt werden, dass Netscape es ihnen durch ein schlechtes Produkt sehr einfach gemacht haben. Komischerweise hat sich der Mediaplayer bis heute nicht durchsetzen können, obwohl er kostenlos zwangsweise überall mit drauf ist. Mir sollte der Herr Gfaller mal andere Produkte aufzählen, die erst erfolgreich wurden durch kostenlose Zwangsinstallation.
    Ich möchte hier nicht behaupten, dass MS in einigen Fällen nie so gehandelt hat, die hier unterstellte Verallgemeinerung ist einfach faktisch falsch.

    Natürlich darf jeder seine Meinung haben, nur wenn jemand diese als Fachmann über eine ZDNET Plattform verbreitet, sollte man sich seiner Verantwortung bewusst sein und somit weniger hetzerisch auftreten.

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