NFL: Der Digitalisierungs-Vorreiter im Profisport

In vielen profisportlichen Disziplinen zählt zwar nur reine menschliche Leistung. Ab einem gewissen Niveau lässt sich diese jedoch nur unter Zuhilfenahme anderer Techniken steigern. Kommen dann noch andere entscheidende Faktoren hinzu, ist Digitalisierung oftmals der einzige mögliche Weg. In kaum einer anderen Sportart bzw. Liga lässt sich das so gut sehen wie in der US National Football League – NFL.

Als diese Zeilen geschrieben wurden, war die NFL-Season 2023 gerade mit den ersten Preseason-Games gestartet. Nicht zuletzt aufgrund seit Jahren andauernder Expansionsbestrebungen der Liga-Leitung kommen auch bei uns immer mehr Menschen auf den Geschmack, diesen ur-amerikanischen Sport im Fernsehen und Internet zu verfolgen.

Was halbwegs digital erfahrenen Menschen dabei schon bei einem Blick auf den Bildschirm auffällt auffällt: Die Liga und der ausgeübte Sport sind in einem mitunter extrem wirkenden Maß technisiert und insbesondere digitalisiert – und damit ist beileibe nicht nur die in den TV-Bildern omnipräsente Werbung für den langjährigen NFL-Partner Microsoft Surface gemeint.

Doch wie drückt sich das in der NFL aus und warum gerade hier in einem solchen Ausmaß?

American Football: Prädestiniert für digitale Techniken?

Es dürfte heute nur noch sehr wenige Profisportarten geben, die nicht in irgendeiner Form auf digitale Unterstützung setzen. Beschäftigt man sich jedoch tiefer mit der Football-Profiliga, fällt schnell eines auf: Was körperliche Teamsportarten anbelangt, gibt es wahrscheinlich keine andere Disziplin, in der Digitalisierung eine so große Rolle spielt.

Mancher könnte geneigt sein, dies maßgeblich mit der US-amerikanischen Digitalaffinität zu erklären. Diese mag vielleicht tatsächlich eine gewisse Rolle spielen – sicherlich jedoch nicht mehr als eine unterstützende. Die wahren Gründe, warum die NFL eine so digitale Liga ist, liegen woanders:

  • Mit seinem auf einzelnen Zügen basierenden Spielprinzip ist der Football an sich ein sehr strategischer, komplexer Sport. Daher ist es stets nötig, immer wieder Vorgehensweisen spontan anzupassen.
  • Aufgrund der Einteilung in Offense-, Defense- und Special Teams gibt es in jeder Mannschaft viele und extrem unterschiedliche Spielpositionen. Sie müssen nicht nur auf mehreren Ebenen gemanagt, sondern immer wieder (neu) aufeinander und auf gegnerische Handlungen abgestimmt werden.
  • Es gibt 32 NFL-Teams, jedes davon muss in der nur rund halbjährigen Season 17 Spiele absolvieren – mitunter weitere in den Playoffs. Das sorgt aus verschiedenen Gründen (etwa den starken klimatischen Unterschieden zwischen den US-Regionen) für ein hochkomplexes Matchmaking. Außerdem finden die gut 270 Partien in einem sehr engen Zeitfenster statt, in dem unterschiedlichste strategische Entscheidungen getroffen werden müssen – nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht.
  • Aufgrund des „Casting-Prinzips“ mit dem im Frühjahr stattfindenden Draft besteht in der NFL eine extreme Form von Chancengleichheit. Ein Team, das im vergangenen Jahr mit schlechtesten Ergebnissen am Ende der regulären Season ausschied, kann dadurch im nächsten Jahr realistisch auf einen Super-Bowl-Sieg hoffen. Eine Etablierung einer sehr kleinen Gruppe von „Meistertitel-Abonnenten“ wie es etwa in vielen Fußball-Profiligen der Fall ist, ist daher nahezu ausgeschlossen.

Last, but not least, muss die NFL als Wirtschaftsfaktor betrachtet werden. Sie ist (mit großem Abstand) die umsatzstärkste und wertvollste Profisportliga der Welt. Dadurch ist sie in vielerlei Hinsicht weit über einen Punkt hinaus, an dem womöglich milliardenschwere Entscheidungen allein auf menschlichen Merkmalen basierend gefällt werden.

Wenn etwa ein Patrick Mahomes, Star-Quarterback der Kansas City Chiefs, einen zehn-Jahres-Vertrag mit unglaublichen 477 Millionen Dollar Mindestgage garantiert bekommt, dann dürften solche Faktoren wie seine weitere Leistungsentwicklung und ähnliche Big-Data-Analysen im Hintergrund eine maßgebliche Rolle gespielt haben.

Höchste Investitionen, leidenschaftliche Fans

Neben diesen „inneren Gründen“ ist es zudem nötig, die NFL als Liga für Dutzende Millionen von Zuschauern zu betrachten. In der NFL sind nicht nur die Ausgaben extrem (wenngleich die Spielergehälter tatsächlich gedeckelt sind), sondern ebenso die Einnahmen. Die Saison 2021 brachte der Liga gut 17 Milliarden Dollar ein. Zum Vergleich: Zum Jahrtausendbeginn waren es „nur“ etwa 4,25 Milliarden Dollar.

Gleichsam handelt es sich bei den Mannschaften nicht um Teams klassischer Prägung (wie etwa im Fußball), sondern Franchises. Völlig anders verhält es sich daher mit dem Thema Fan-Leidenschaft.

Aus all diesen Gründen heraus, und in Verbindung mit der komplexen Spielmechanik, entsteht eine Notwendigkeit: Alles, was auch nur im Entferntesten spiel- und somit meisterschaftsentscheidend sein könnte, wird längst nicht mehr nur menschlichem Urteilsvermögen überlassen.

Nehmen wir den Videobeweis: In der NFL wurde bereits 1986 eine entsprechende Technik probeweise eingeführt. Sie etablierte sich 1991 und das aktuelle System besteht seit 1999.

  • Sollte ein Review von den Coaches gefordert werden, werden die Referees über eine Art Smartwatch darüber informiert.
  • Anschließend schauen sie sich ein Replay des Spielzugs an. Mittlerweile geschieht das auf Surface-Tablets von Microsoft, die von Assistenten gehalten werden.
  • Gezeigt wird ein Stream aus dem NFL-Hauptquartier in New York. Dieser bezieht sein Bildmaterial wiederum aus Dutzenden hochauflösenden Kameras, die an neuralgischen Punkten des Spielfelds stehen.
  • Sehen die Offiziellen in New York oder ein Replay Official einen offensichtlichen Spielfehler, kommunizieren sie direkt via Headset mit dem Referee.

Wo es in der Fußball-Bundesliga Jahre brauchte, um eine solche Technik zu etablieren und bis heute leidenschaftliche Kritiker vor einer „Technisierung“ warnen, ist der Videobeweis in der NFL absolut etabliert. Mehr noch: Er wird von der großen Mehrheit der Fans als Garant für Fairness angesehen und konnte bereits mehrfach durch Korrektur falscher Entscheidungen Spiele drehen.

Digitalpositive Regeln machen es möglich

Das NFL-Regelwerk ist für Neulinge sicherlich nicht leicht zu durchschauen. Was jedoch die Digitalisierung anbelangt, lässt sich eines feststellen: Liberalismus trifft hier auf konkrete Grenzen. So ist es beispielsweise möglich (und Usus), mittels Richtmikrofone die Gespräche der Spieler auf dem Feld aufzufangen und sie in die Streams und TV-Übertragungen einzubauen.

Weitere Nachweise dieser Einstellung:

  • Die mehreren Coaches eines Teams kommunizieren untereinander sowie mit Beobachtern in höhergelegenen Kabinen des Stadions (bessere Übersicht). Dafür kommen Funkübertragungen mit digitalen Modulationsarten zum Einsatz – nicht zuletzt der Abhörsicherheit geschuldet.
  • Je ein Spieler auf dem Platz (typischerweise der jeweilige Kopf von Offense und Defense) trägt einen dazu passenden Lautsprecher. Regelkonform darf er jedoch nur Anweisungen des Headcoaches hören – und nicht antworten. Erkennbar ist dieser Spieler stets an einem grünen Punkt auf dem Helm.
  • Verschiedene Spielzüge und Strategien, dazu Replays, werden den Spielern andauernd auf den angesprochenen Surface-Tablets gezeigt. Ferner ermöglichen sie es den Coaches, den Spielplan basierend auf den Entwicklungen auf dem Feld jederzeit zu modifizieren – und allen grafisch bekanntzugeben.
  • Der Hauptschiedsrichter (übrigens der einzige Offizielle, der Referee genannt wird), trägt ein Headset. Fällt er eine wichtige Entscheidung, kann er sich auf Knopfdruck sofort in die Stadionlautsprecher einschalten, um diese gut hörbar bekanntzugeben.
  • Seit 2014 tragen alle Spieler spezielle RFID-Transmitter in ihren Schulterpolstern. Das dahinterstehende System wurde von Zebra Technologies entwickelt. Über mehrere Empfänger im Stadion werden darüber verschiedene Parameter übertragen. Etwa Spielerposition, Entfernungen, Geschwindigkeiten. Weitere RFID-Tags finden sich im Ball selbst. Die Gesamtheit dieser Daten macht beispielsweise nicht nur spielerische Leistungen besser messbar, sondern hilft ebenfalls dabei, womöglich spielentscheidende Urteile zu fällen.

Auffällig ist hierbei die weitgehende Abwesenheit kritischer Stimmen. Sowohl aufseiten der Fans als auch der Teams werden derartige Techniken mehrheitlich positiv bewertet, weil sie ein komplexes Spiel besser „beherrschbar“ und übersichtlicher machen.

Allerdings ist das alles nur der aktuelle Stand. Weniger digital wird die NFL sicherlich nicht werden. Derzeit beispielsweise experimentiert die Liga zusammen mit acht Universitäten mit technischen Ansätzen zur Messung von Kopfbelastungen im Helm. Sie könnten künftig dabei helfen, das notorisch von Gehirnerschütterungen geplagte Spiel (insbesondere bei einigen Positionen wie dem Quarterback) weniger gefährlich zu machen.

Der NFL Big Data Bowl: Talentwettbewerb für digitale Profis

Das alles sind fraglos ausdrucksstarke Nachweise dafür, wie digital die NFL schon längst ist. Häufig allerdings kommt hierbei die Digitalisierung abseits der Stadien etwas zu kurz. Diesbezüglich dürfte es wohl keinen besseren Nachweis für die Einstellung der gesamten Liga geben als der Big Data Bowl.

Wo nur wenige andere Sportdisziplinen derart umfassende Daten erheben, um Performance und Sicherheit zu messen und zu erhöhen, ist der Wunsch nach noch besserer Analyse gigantisch.

“The league understands the need to fully embrace that what
data analytics and the digitalization of the world really involves has
to be brought in-house for us to take full advantage of it.”

So sagte es Paul Ballew, Chief Data and Analytics Officer der NFL.

Seit nunmehr fünf Jahren hält die Liga daher einmal jährlich besagten Wettbewerb ab. Zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft werden dabei neue Köpfe und kreative Ansätze gesucht, um das Spiel zu optimieren. Im Big Data Bowl 2023 lautete beispielsweise die Vorgabe, neue Ansätze zu finden, um Pass-Blocking- und Pass-Rushing-Leistungen besser zu analysieren.

Zwar ändert sich die Zielvorgabe jedes Jahr. Stets geht es jedoch darum, datenbasierende digitale Lösungen zu finden – für einen Sport, der im Prinzip einfach ist, aber durch seine Ausrichtung mehr als genug Raum lässt, um durch Digitalisierung maßgeblich verändert und verbessert zu werden.

 

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