Online-Communities: Vorbild oder reale Gefahr für die User?

"Tief liegende Augen, blasse Gesichtsfarbe, zitternde Hände" - Psychologen bezeichnen Online-Communities als pathologisch. Internet-Veteran Howard Rheingold dagegen sieht sie als Vorreiter einer neuen Gesellschaftsform.

Vor wenigen Tagen machte neuerlich eine Warnung renommierter Psychologen vor den Gefahren der „Internet-Sucht“ Schlagzeilen. „Tief liegende Augen, blasse Gesichtsfarbe, zitternde Hände“ diagnostizierte etwa der Psychologe Andreas Koch von der Berliner Caritas. Ist das nur eine weitere schlagzeilenverdächtige Panikmache? Oder sind Online-Communities im Gegenteil vielleicht sogar die Vorreiter einer neuen Gesellschaftsform? ZDNet befragte dazu den bekannten Experten Howard Rheingold. Nur wenige der Leute, die sich mit Online-Communities beschäftigten und darüber schreiben, sind so angesehen wie er.

Rheingold, der Autor von Smart Mobs, das 2002 erschien und eine weltweite Debatte darüber eröffnete, wie Technologie kollektives Handeln oder kollektive Intelligenz fördern kann, ist derzeit häufig als Redner auf Technologie-Konferenzen wie Etech
und Netsquared
zu finden und fungiert als Berater für Organisationen wie The Institute for the Future. Rheingold war Mitbegründer von Hotwired und Herausgeber von Whole Earth Review. Derzeit ist er als Autor und Dozent an Universitäten in den Vereinigten Staaten und in England tätig und hält Vorträge.

Er spricht häufig über das Thema Online-Communities und darüber, wie die Menschen sowohl finanziell als auch kulturell davon profitieren können, solche Gemeinschaften aufzubauen. Mit ZDNet/CNET diskutierte er seine aktuelle Arbeit, seine Lehre, seine Ansichten über die Zukunft von Online-Communities und viele weitere Themen.

ZDNet: Als Erstes möchten wir wissen, wie Sie jetzt ihre Tage verbringen. Sind Sie ein „Internet-Junkie“?

Rheingold: Nun, ich treibe mich tatsächlich viel online herum. Was die meisten Leute nicht wissen, ist, dass ich in den neun Monaten im Jahr, in denen ich mich online herumtreibe, barfuß in meinem Garten sitze. Vor etwa 20 Jahren schrieb ich „A slice of life in my virtual community“ und bin jetzt dabei, das zu aktualisieren. Ich lerne also etwas Neues und stelle ein Video zusammen. Ich schreibe E-Mails, IMs, das Übliche. Ich habe auch rund 100 Feeds in meinem RSS-Reader. Ich unterhalte drei Blogs, ein paar Wikis, und ich speichere URLs bei Delicious. Ich treibe mich immer noch in virtuellen Gemeinschaften herum, und nachdem ich mir selbst Video beigebracht habe, steht als Nächstes auf dem Programm zu lernen, mich in Second Life zurechtzufinden. Und jetzt bin ich auch einen Tag in der Woche als Dozent tätig. Im Herbst an der UC Berkeley, im Winter an der Stanford University. Im Herbst bin ich außerdem eine Woche als Gastdozent im Vereinigten Königreich unterwegs. Meine Miete bezahle ich hauptsächlich mit der Gage für Redeauftritte.

ZDNet: Was lehren Sie?

Rheingold: Partizipative Medien und Kollektives Handeln an der UC School of Information – Smart Mobs 101. Und Digitaler Journalismus in Stanford. Das ist ein teures Hobby – Professoren werden nicht besonders gut bezahlt -, aber es macht wirklich Spaß, und es ist etwas angsteinflößend. Es ist leicht, vor verschiedenen Zuhörern in der ganzen Welt einen von drei Vorträgen zu halten. Es ist aber etwas anderes, jede Woche in einen Raum voller Studenten zu gehen, die viel Geld bezahlt haben und von mir erwarten, dass ich ihnen etwas beibringe. Und weil es WLAN im Unterrichtsraum gibt, muss ich stets interessanter als Facebook, Second Life, World of Warcraft und IM sein. Aber wir arbeiten im Unterricht viel mit Wikis und Blogs, und ich versuche, den Unterricht so partizipativ wie möglich zu gestalten.

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