Wiedergeburt von Parler sehr unwahrscheinlich

Die von Google, Apple und Amazon wegen des Sturms auf das Kapitol abgestrafte Web-Community Parler steht vor einer Herkulesaufgabe, wenn sie einen Neubeginn wagen will.

Jetzt, da Amazon Web Services Parler abgeschaltet hat, stellt sich die Frage: Wird das soziale Netzwerk an anderer Stelle wieder aufgebaut? Parler-CEO John Matze sagt, dass Parler zurückkommen wird mit „vielen, die um unser Geschäft konkurrieren.“

Es scheint aber kein großes öffentliches Cloud- oder Hosting-Unternehmen zu geben, das bereit ist, Parler ein Zuhause zu geben. Ein Kandidat wäre höchstens Oracle: Firmengründer Larry Ellison ist eng mit Donald Trump befreundet. Aber selbst wenn es sie gäbe, wäre es für Parler fast unmöglich, in absehbarer Zeit zurückzukehren. Parler wird seine eigene Infrastruktur aufbauen müssen.

In der Tat gab Matze danach auf Fox News zu, dass niemand mehr mit Parler arbeiten will, nachdem Amazon das Unternehmen fallen gelassen hat. Parler wieder nach oben zu bringen, sei „im Grunde unmöglich“, schlussfolgerte Matze. Selbst wenn sie es täten, ist es nicht machbar, wie Corey Quinn, Chief Cloud Economist bei der Duckbill Group, in einer Reihe von Tweets erklärte.

Von AWS ausgebootet zu werden, ist praktisch unerhört. Wenn Leute absichtlich gehen, dauert die Planung Monate; die Ausführung kann Jahre dauern. Es ist viel schwieriger, als Sie denken, und zwar aus mehreren Gründen.

Es braucht Zeit, all diese Daten zu verschieben (es gibt einen Grund, warum Downloads eine Weile dauern), aber das ist nur der Anfang. AWS verkauft nicht nur „große leere Computer“. Sie bieten Services auf höherer Ebene an. Vorkonfigurierte Datenbanken, automatisches Videostreaming, etc.

Parler behauptet, dass sie diese übergeordneten Dienste nicht genutzt haben. Auch wenn das stimmt, gibt es immer noch Probleme. Die Art und Weise, wie die AWS-Services funktionieren – wie man sie erstellt, wie lange dieser Erstellungsprozess dauert, wie man Daten auf sie überträgt? Sie verhalten sich in der Welt von AWS anders als anderswo.

Viele Annahmen darüber, wie sich die Server verhalten, sind in die Erstellung von Parler (und jeder anderen von AWS gehosteten Anwendung) „eingebacken“. Vielen Unternehmen ist nicht bewusst, dass diese Annahmen vorhanden sind, bis sie versuchen, umzuziehen.

Das ist der Grund, warum Migrationen Monate oder Jahre dauern. Parler hatte 30 Stunden und die Site ist jetzt down.

Das Einrichten eines sozialen Netzwerks selbst ist einfach. Viele Web-Hosting-Unternehmen bieten einfach einzurichtende Open-Source-Netzwerke wie Elgg, diaspora* und Okuna an. Mit diesen können Sie ein kleines soziales Netzwerk an einem Nachmittag einrichten. Ein soziales Netzwerk für mehr als 8 Millionen Parler-Anwender einzurichten, ist eine ganz andere Sache.

Es ist nicht nur eine Frage des Geldes. Die konservative Multimillionärin und Parler-Unterstützerin Rebekah Mercer, Tochter des Hedge-Fonds-Investors und Cambridge-Analytica-Mitbegründers Robert Mercer, hat reichlich Geld. Als es geschlossen wurde, kostete Parler etwa 300.000 Dollar pro Monat allein für AWS.

Die Frage ist: Wird Mercer überhaupt weiter in ein Unternehmen investieren wollen, das keinen wirklichen Businessplan hat? CEO Matze hat zugegeben: „Jeder Anbieter, von SMS-Diensten über E-Mail-Provider bis hin zu unseren Anwälten, hat uns noch am selben Tag abserviert.“

Parler hat nicht die interne Expertise, um die Migration durchzuführen. Der Gründer und leitende Ingenieur von Parler, Jared Thomson, hat nur zwei Jahre Vollzeit-Erfahrung im technischen Bereich außerhalb des sozialen Netzwerks und nichts davon mit Cloud Computing. Alexander Blair, CTO von Parler, ist ein selbsternannter Linux-Systemadministrator mit fünf Jahren Berufserfahrung in der Systembereitstellung und -verwaltung. Insgesamt hat Parler 35 Mitarbeiter, die schon nach der Wahl mit dem Wachstum des Netzwerks gestresst waren. Dieser Job würde weitaus größere und Cloud-affinere Mitarbeiter an ihre Grenzen bringen, als Parler vorweisen kann.

Einige Unternehmen, wie VanwaTech – auch bekannt als OrcaTech, ein Hosting-Unternehmen in Vancouver, Washington – könnten ein neues Parler hosten. Zuvor war VanwaTech die Heimat für den Neonazi The Daily Stormer, 8kun, früher 8chan, und zahlreiche QAnon-Verschwörungsseiten. VanwaTech verfügt aber auch nicht über die technische Expertise, um Parler zu migrieren.

Das einfache Verschieben von Daten ist nur der Anfang der Lösung. Das Parler-Serverprogramm muss auf andere Cloud-basierte Server übertragen werden. Parler läuft auf einer proprietären Closed-Source-Software, die auf Linux läuft. Da es sich um ein Closed-Source-Programm handelt, ist es viel schwieriger, es auf eine andere Plattform zu portieren.

Die Daten von Parler wurden auf Amazon S3-Servern gespeichert. S3 ist ein beliebter und gut dokumentierter Objektspeicherdienst. Das Verschieben von Daten von dort ist einfach. Die Verwendung dieser Daten in einem aktualisierten proprietären Programm auf einer neuen Cloud ist eine ganz andere Sache.

Auch die Auslieferung der Inhalte an die Anwender erweist sich als mühsam. Für sein Front-End verwendet Parler Amazon Cloudfront. Dabei handelt es sich um das Content Delivery Network (CDN) von AWS. Ohne ein CDN hätte es ein wiederbelebtes Parler schwer, seine Inhalte zeitnah an die Anwender auszuliefern.

Ein neues Parler müsste sich auch mit der Einrichtung eines DDoS-Schutzes (Distributed Denial of Service) befassen. Große DDoS-Anbieter wie Cloudflare haben kein Interesse daran, Parler zu schützen. Dennoch ist ein DDoS-Schutz für umstrittene Seiten unerlässlich. Der Ausstieg von Cloudflare aus 8chan war ein Hauptgrund, warum die Seite fast untergegangen wäre. Heute verlassen sich VanwaTech-basierte Seiten auf DDoS-Guard, eine russische DDoS-Schutzfirma.

Nimmt man alles zusammen, ist zu bezweifeln, dass wir eine Wiederbelebung des alten Parler sehen werden. Eher ist zu erwarten, dass ein neues rechtslastiges soziales Netzwerk entstehen wird.

Bei aller Schadenfreude sollten auch andere Unternehmen dies als warnendes Beispiel ansehen. Dies ist nicht nur ein Problem für Parler. Jedes Unternehmen, das eine Website oder ein soziales Netzwerk aufbauen möchte und sich auf AWS oder eine der anderen großen öffentlichen Clouds verlässt, steht potenziell vor denselben Problemen. Im Allgemeinen will AWS Ihr Geschäft, aber am Ende des Tages, wie Parler herausgefunden hat, ermöglichen es die AWS-Servicebedingungen, jede Website zu schließen.

Wenn Sie wirklich sicherstellen wollen, dass Ihre Website oder Ihr Dienst verfügbar bleibt, müssen Sie sie weiterhin auf Ihrer eigenen Hardware in Ihrem eigenen Rechenzentrum betreiben. Andere umstrittene Sites, wie Pornhub, haben dieses Modell erfolgreich genutzt. Um sicher zu sein, dass Ihre Website oder Ihr soziales Netzwerk in jedem Fall verfügbar bleibt, ist das Private-Cloud-Modell immer noch die beste Lösung.

Themenseiten: Amazon, Cloud-Computing, Parler

Fanden Sie diesen Artikel nützlich?
Content Loading ...
Whitepaper

Artikel empfehlen:

Neueste Kommentare 

Noch keine Kommentare zu Wiedergeburt von Parler sehr unwahrscheinlich

Kommentar hinzufügen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *