Technologieschulden bremsen Innovationen aus

Viele Unternehmen kämpfen mit hohen Technologieschulden, sprich veralteten IT-Systemen und schlecht programmierter Software. Da deren Betrieb einen beträchtlichen Teil der IT-Ressourcen beansprucht, fehlen Mittel und Zeit für Innovationen sowie die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle. Das zeigen mehrere Studien.

Veralteter Software-Code, monolithische Architekturen, ein Wildwuchs an Frameworks, Fehler beim Design von Anwendungen oder auch Hardware, die in die Jahre gekommen ist – jedes Unternehmen muss sich irgendwann mit Technologieschulden auseinandersetzen. Damit bezeichnet man in der IT langfristige, unerwünschte Konsequenzen, die beispielsweise aufgrund von Entscheidungen und Kompromissen bei der Entwicklung von Software oder Lösungen entstehen. Meist stand hier weniger die Qualität oder zukunftssichere Optimierung im Vordergrund, sondern die schnelle Implementierung.

Der Haken: Damit erfüllen diese Systeme und Anwendungen selten die heutigen Anforderungen an eine agile IT-Infrastruktur und erhöhen die Kosten für Betrieb und Wartung, sei es durch zusätzlichen Aufwand etwa für Änderungen von schlecht programmiertem Code, aufwändige Updates mit zusätzlichen Funktionen oder notwendige Sicherheits-Patches, weil Security nicht von Anfang an in der Entwicklung berücksichtigt wurde. Fehlerhafte Anwendungen oder veraltete Systeme mindern die Produktivität, bergen die Gefahr von Sicherheitsvorfällen oder führen dazu, dass Projekte das Budget überschreiten oder nicht termingerecht abgeschlossen werden.

Die IT-Mitarbeiter verschwenden damit einen nicht geringen Teil ihrer Zeit damit, Komplexität zu verwalten. Damit fehlen dringend benötigte IT-Ressourcen für Investitionen in die digitale Transformation. Kurzum: Es besteht die Gefahr, dass Technologieschulden Innovationen in Unternehmen ausbremsen. Das zeigen auch Studien etwa von McKinsey oder Outsystems.

Technische Schulden hemmen Innovationen

McKinsey zum Beispiel befragte für seinen Report Tech debt: Reclaiming tech equity 50 CIOs aus großen Finanz- und Tech-Unternehmen. Diese schätzen, dass sich die technischen Schulden auf 20 bis 40 Prozent des Wertes ihres gesamten Technologiebestands vor Abschreibung belaufen. 60 Prozent der befragten CIOs sind der Meinung, dass die Tech-Schulden ihres Unternehmens in den letzten drei Jahren spürbar gestiegen sind. Das behindert Innovationen. Denn die CIOs berichten, dass sie 10 bis 20 Prozent des Technologiebudgets, das für neue Produkte vorgesehen ist, für die Lösung von Problemen im Zusammenhang mit technischen Schulden abzweigen.

Ähnlich sehen die Ergebnisse der Umfrage The Growing Threat of Technical Debt von Outsystems aus, einem Anbieter von Low-Code-Plattformen für die Entwicklung von Anwendungen. Dazu wurden 500 IT-Führungskräfte weltweit aus Branchen wie Finanzwesen, Einzelhandel, Gesundheitswesen, Bildung, öffentlicher Verwaltung, Medien befragt. Hier gaben mehr als zwei Drittel der IT-Führungskräfte (69 Prozent) an, dass technische Schulden ihre Innovationsfähigkeit grundlegend einschränken. Etwas weniger (61 Prozent) sagten, dass diese die Leistung ihres Unternehmens beeinträchtigen. 64 Prozent wiederum sind der Meinung, dass das Thema auch in Zukunft großen Einfluss haben wird.

Im Durchschnitt geben Unternehmen etwa ein Drittel ihres IT-Budgets für den Umgang mit technischen Schulden aus – bei Großunternehmen sind es sogar vier Zehntel (41 Prozent). Interessant ist hier ein Blick auf die Branchen. Unternehmen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen geben mit 35 Prozent ihrer IT-Budgets am meisten für technische Schulden aus, gefolgt von diesen Branchen mit knapp 30 Prozent: Banken, Finanzen und Versicherungen, Bildungswesen, Regierung und öffentliche Verwaltung, Versorgungsunternehmen sowie Medien und Telekommunikation. Groß- und Einzelhandelsunternehmen geben inzwischen fast ein Viertel ihrer IT-Budgets für technische Schulden aus. Das heißt: All diese Firmen investieren Zeit und Geld in technische Schulden statt in Innovation und beklagen daraus resultierende Opportunitätskosten (entgangene Erträge im Vergleich zur besten, nicht realisierten Handlungsalternative).

Wie viel Zeit technische Schulden bei der Entwicklung von Software kosten, haben Wissenschaftler der Technischen Universität Chalmers in der schwedischen Stadt Göteborg untersucht. Ihre Studie Software Developer Productivity Loss Due to Technical Debt zeigt, dass Entwickler im Durchschnitt fast ein Viertel (23 Prozent) ihrer Zeit aufgrund von Technologieschulden verschwenden, am häufigsten für zusätzliche Tests, die aufgrund von Codeänderungen anfallen – eine erhebliche Minderung der Produktivität.

Ursachen von technischen Schulden

Technische Schulden lassen sich nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen. Der Studie von Outystems zufolge nennen IT-Führungskräfte als wichtigste Gründe die Existenz zu vieler Programmiersprachen/Frameworks (52 Prozent), die die Wartung und Aktualisierung von Systemen verkompliziert, sowie die Fluktuation in den Entwicklungsteams (49 Prozent). Letztere führt dazu, dass neue Mitarbeiter für Plattformen verantwortlich sind, die sie nicht selbst entwickelt haben und die sie möglicherweise nicht vollständig beherrschen oder verstehen. Eine weitere wichtige Ursache für Technologieschulden ist laut Outsystems die Inkaufnahme bekannter Fehler, um Release-Termine einzuhalten (43 Prozent).

Es hat also einen Preis, Software schnell, aber nicht unbedingt richtig beziehungsweise in hoher Qualität zu entwickeln. Wegen des Termindrucks werden dann Programmier-Standards nicht eingehalten, Regressions- und Modultests für die Qualitätssicherung nur eingeschränkt oder gar nicht durchgeführt, Schnittstellen fehlerhaft umgesetzt oder notwendige Code-Korrekturen nicht vorgenommen.

Die Berater von McKinsey sehen zudem Versäumnisse bei der Klärung der allgemeinen Geschäftsstrategie, der Definition der benötigten Fähigkeiten oder der Verknüpfung der Roadmap mit diesen Fähigkeiten als Ursache für Technologieschulden. Auch die unzureichende Abstimmung zwischen IT und Strategie, ein zu geringes IT-Budget oder die mangelnde technische Integration bei Fusionen und Übernahmen können demnach zu unangemessener Komplexität, verwaisten Systemen oder fragmentierten Datensätzen führen. Darüber hinaus führen laut McKinsey komplexe Prozesse mit wenig oder keiner Standardisierung zwischen Regionen oder Geschäftsbereichen, die ähnliche Aufgaben erfüllen, oder mehrere Anwendungen, die denselben Zweck erfüllen, zu Technologieschulden.

Technologieschulden abbauen und vermeiden

Wie bereits beschrieben, sind die Konsequenzen fatal: Technische Schulden binden finanzielle Ressourcen und talentierte IT-Mitarbeiter, die sich auf Innovation und Wachstum konzentrieren könnten. Stattdessen müssen sie sich mit der Wartung und dem Patchen alter Technologien beschäftigen – was sehr frustrierend sein kann. Denn IT-Fachleute wollen mit den neuesten Technologien arbeiten. Unternehmen, die ihre Technologieschulden nicht abbauen, wird es schwerfallen, versierte IT-Experten zu halten und an sich zu binden.

Doch noch zögern Unternehmen weiterhin, technische Schulden abzubauen – und verschärfen damit das Problem. Der Outsystems-Studie zufolge meint nur ein Fünftel der Befragten (20 Prozent), dass ihr Unternehmen die technischen Schulden derzeit in den Griff bekommen. 32 Prozent gaben an, dass sie das Problem bereits jetzt angehen können, und 36 Prozent sind optimistisch, dass dies zukünftig gut zu bewältigen sei. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen zeigten sich hier am wenigsten zuversichtlich.

Doch wie können Unternehmen ihre Technologieschulden abbauen, um eine agile, skalierbare IT zu erreichen, die zu möglichst geringen Kosten neue Anforderungen meistern kann? Hier die wichtigsten Tipps aus den verschiedenen Studien auf einen Blick:

  • Transparenz: Im ersten Schritt geht es darum, die IT-Systeme und Anwendungen zu analysieren, zu bewerten und die technischen Schulden zu ermitteln, am besten priorisiert nach Kosten und Dringlichkeit. Hier ist es wichtig, jede Anwendung mit ihrem Geschäftszweck und den Ressourcen zu verknüpfen, die sie verbraucht. So entsteht eine Art Gewinn- und Verlustrechnung. Denn Technologieschulden sind ein Business-Thema, und kein rein technisches Problem.
  • Roadmap für schrittweisen Abbau: Sind die technischen Schulden identifiziert, sollten Firmen ihre IT-Infrastruktur und Anwendungen nicht auf einen Schlag komplett modernisieren, sondern mit einem klaren Plan stetig umbauen und flexibler gestalten.
  • Standards: Firmen sollten beim Abbau der technischen Schulden Standards schaffen, um etwa Software-Redundanzen oder Code-Duplizierung zu vermeiden.
  • DevOps: Das DevOps-Konzept steht für die enge Verzahnung von IT-Entwicklung und IT-Betrieb, die agile Softwareentwicklung, Automatisierung und kürzere Release-Zyklen. Auch das Risiko von ungetesteten Code-Elementen wird minimiert, da die eingesetzten Verfahren über den gesamten Software-Prozess hinweg identisch sind.
  • Hohe Qualität bei der Software-Entwicklung: DevOps erhöht durch regelmäßige Tests bereits die Qualität bei der Entwicklung von Software. Firmen sollten zudem den Quellcode frühzeitig und regelmäßig analysieren, um Schwachstellen zu erkennen, Sicherheit von Anfang an integrieren (Security by Design), die Anzahl der Programmiersprachen und Frameworks möglichst reduzieren sowie die Fluktuation innerhalb ihrer Entwicklungsteams eindämmen.

In der Praxis ist es meist so, dass sich Technologieschulden nicht komplett vermeiden und auf null drücken lassen. Das ist auch nicht das Ziel. Es geht darum, mit technischen Schulden bewusst umzugehen, sie zu messen, zu bewerten, auf ein möglichst niedriges Level abzubauen und dann zu kontrollieren. Voraussetzung dafür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen IT und Business, den IT-Architekten und Software-Entwicklern. Ziel ist ein Entwicklungsprozess, der sowohl kurzfristige Termine als auch langfristige strategische Ziele erfüllt. Dabei helfen moderne Plattformen für die Anwendungsentwicklung und eine agile Organisation. Firmen, die ihre Technologieschulden abbauen, sind in der Lage, Innovationen schnell und innerhalb des Budgets auf den Markt zu bringen – und damit auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Themenseiten: Outsystems, Programmiersprache

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