Categories: RechtRegulierung

EU vs. Google: Es geht auch um Android

Die Europäische Kommission hat gestern Google eine Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt, in der sie dem Unternehmen vorwirft, dass es seine beherrschende Stellung auf den Märkten für allgemeine Internet-Suchdienste im Europäischen Wirtschaftsraum missbräuchlich ausnutzt.

Darüber hinaus hat die Kommission förmlich eine getrennte kartellrechtliche Untersuchung des Verhaltens von Google hinsichtlich des Betriebssystems Android eingeleitet. Dabei will sie untersuchen, ob Google in Bezug auf Betriebssysteme, Anwendungen und Dienste für Smartphones wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen oder eine etwaige marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt hat.

Google antwortet darauf, dass diese Verträge freiwillig zustande gekommen wären. Jeder könne das Open-Source-Betriebssystem Android ohne Google-Anwendungen nutzen. Als Beispiel führt es Geräte von Amazon an. Auch seien Apps, die direkt mit Google konkurrieren, durchaus auf Geräten zu finden. Hier muss das neue Galaxy S6 mit den vorinstallierten Anwendungen von Facebook und Microsoft als Beispiel herhalten. Die Vereinbarungen mit den Smartphoneherstellern würden sicherstellen, dass eine einheitliche Erfahrung über alle Android-Geräte hinweg den Nutzern geboten werden könne. Im Vergleich zu Apple seien auf den Android-Geräten viel weniger Google-Apps zu finden als Apple-Anwendungen auf iOS-Geräten installiert seien. Im Übrigen profitiere Google nicht alleine von Android. Android kann von vielen Herstellern genutzt werden und der Wettbewerb habe dafür gesorgt, dass es nun Smartphones für 100 Dollar gebe. Insgesamt gebe es über 18.000 unterschiedliche Geräte.

Zu diesen Argumenten lässt sich folgendes sagen: Dass ein Vertrag freiwillig zustande gekommen ist, bedeutet nicht automatisch, dass er gesetzeskonform ist. Auch Intel hat mit zahlreichen OEMs Verträge über Werbekostenzuschüsse abgeschlossen. Davon, dass diese sich über das Geld beschwert haben und die Verträge unfreiwillig unterzeichnet haben, ist nichts bekannt. Wohl aber, dass diese Verträge dem Mitbewerber AMD geschadet haben. Das hat Intel von der EU am 13. Mai 2009 auch schriftlich in Form eines 1,06 Milliarden Euro teuren Strafbefehls erhalten.

Dass man das Open-Source-Betriebssystem wie Amazon nach seinen eigenen Wünschen anpassen kann, steht außer Frage. Allerdings bedeutet das nicht, dass man damit Geld verdient. Letztendlich steht diese Möglichkeit nur großen Firmen wie Amazon offen. Andere Hersteller können es sich nicht leisten, Geräte ohne den Play Store auszuliefern, der Zugriff auf Tausende Apps ermöglicht.

Die App-Auswahlmöglichkeit ist nur aus Sicht von Google wirklich freiwillig. Genau betrachtet befindet sich auf dem Galaxy S6 ein Browser von Samsung. Wozu ist dann noch Chrome installiert. Darauf hätte Samsung sicher gerne verzichtet. Vermutlich wurde es aber vertraglich gezwungen, Chrome zu installieren.

Der Blick auf andere aktuelle Android-Smartphones zeigt, dass auf den Geräten immer die gleichen Google-Apps vorinstalliert sind. Das legt nahe, dass ein Smartphonehersteller eben nicht frei entscheiden kann, welche Google-Anwendungen er vorinstalliert. Offenbar müssen die Hersteller grundsätzlich ein Mindestpaket von Google abnehmen und können sich beispielsweise nicht nur auf die Installation des Play Stores beschränken und statt Chrome etwa Firefox installieren oder statt Maps lieber auf die Offline-Kartenlösung Here zurückgreifen.

Das Argument, dass mit der Verpflichtung zur Installation von bestimmten Apps eine einheitliche Erfahrung über alle Android-Geräte hinweg den Nutzern geboten werde, ist falsch. Die verschiedenen Oberflächen der Android-Geräte zeigen, dass es Google weniger um die einheitliche Nutzererfahrung geht, sondern eher um die Nutzerdaten. Damit verdient Google schließlich sein Geld und dagegen ist auch nichts zu sagen. Ginge es Google um eine einheitliche Nutzererfahrung würde es den Google-Launcher zwingend vorschreiben.

Nicht wenige Anwender würden es sicher gutheißen, wenn man bei der Auswahl von Apps mitreden könnte. Stattdessen muss man mit der Vorauswahl von Google und den Herstellern leben. Man kann zwar zusätzliche Anwendungen installieren, doch die vorinstallierten Google-Anwendungen lassen sich nicht löschen. Es sei denn, man hat sein Smartphone gerootet.

Eine Android-Version mit möglichst wenigen Google-Apps könnte am Ende der Kartelluntersuchungen gegen Google Realität werden (Screenshot: ZDNet.de).

Von einer Wahlmöglichkeit der Anwender kann auch Microsoft ein Lied singen. Gegen den Softwarekonzern hat die EU ebenfalls schon Strafen verhängt und ihn dazu verpflichtet, dem Anwender nach dem ersten Start von Windows eine Auswahlmöglichkeit für Browser zu präsentieren. Vielleicht erinnert sich die EU ja an diese Möglichkeit der Einflussnahme und führt eine App-Auswahl unter Android ein.

Was das Apple-Argument angeht, kann man Google uneingeschränkt zustimmen. Hier sollte die EU ebenfalls Untersuchungen aufnehmen. Nutzer haben anders als bei Android keine Möglichkeit, etwa einen alternativen Browser einzusetzen, der genauso schnell wie der vorinstallierte Safari arbeitet. Außerdem lassen sich ausschließlich Apps aus dem App Store installieren. Anwendungen aus dem Cydia Store sind nur zugänglich, wenn das iOS-Gerät per Jailbreak von seinen werkseitigen Fesseln befreit wurde. Auch kann man standardmäßig keine vorinstallierten Anwendungen löschen.

Statt es auf eine Entscheidung der EU inklusive empfindlicher Strafen ankommen zu lassen, sollte Google in Verhandlungen treten und nicht die gleichen Fehler machen wie Microsoft und Intel. Letzteres ist vergeblich gegen die Verurteilung durch die EU-Kommission 2009 vorgegangen. 2014 wurde das Urteil bestätigt, was noch einmal das Interesse der Öffentlichkeit auf die wettbewerbsschädlichen Machenschaften des Prozessorherstellers lenkte. Die Botschaft sollte Google verstehen: Es hat keinen Zweck, einen Konfrontationskurs gegen die EU einzuschlagen.

Tipp: Wie gut kennen Sie Google? Testen Sie Ihr Wissen – mit dem Quiz auf silicon.de.

Kai Schmerer

Kai ist seit 2000 Mitglied der ZDNet-Redaktion, wo er zunächst den Bereich TechExpert leitete und 2005 zum Stellvertretenden Chefredakteur befördert wurde. Als Chefredakteur von ZDNet.de ist er seit 2008 tätig.

Recent Posts

BSI-Studie: Wie KI die Bedrohungslandschaft verändert

Der Bericht zeigt bereits nutzbare Angriffsanwendungen und bewertet die Risiken, die davon ausgehen.

5 Stunden ago

KI-Wandel: Welche Berufe sich am stärksten verändern

Deutsche sehen Finanzwesen und IT im Zentrum der KI-Transformation. Justiz und Militär hingegen werden deutlich…

6 Stunden ago

Wie ein Unternehmen, das Sie noch nicht kennen, eine Revolution in der Cloud-Speicherung anführt

Cubbit ist das weltweit erste Unternehmen, das Cloud-Objektspeicher anbietet. Es wurde 2016 gegründet und bedient…

10 Stunden ago

Dirty Stream: Microsoft entdeckt neuartige Angriffe auf Android-Apps

Unbefugte können Schadcode einschleusen und ausführen. Auslöser ist eine fehlerhafte Implementierung einer Android-Funktion.

14 Stunden ago

Apple meldet Umsatz- und Gewinnrückgang im zweiten Fiskalquartal

iPhones und iPads belasten das Ergebnis. Außerdem schwächelt Apple im gesamten asiatischen Raum inklusive China…

14 Stunden ago

MadMxShell: Hacker verbreiten neue Backdoor per Malvertising

Die Anzeigen richten sich an IT-Teams und Administratoren. Ziel ist der Zugriff auf IT-Systeme.

1 Tag ago