GEMA: Wir sind sind nicht Schuld an den YouTube-Sperren

Vor ein paar Tagen habe ich über nützliche Plug-ins für Webbrowser berichtet. Darunter befand sich auch Stealthy, ein Add-on, das anonyme Proxy-Server im Ausland benutzt. Es dient zum einen dazu, sich anonym im Internet zu bewegen, da es die eigene IP-Adresse verschleiert, zum anderen glaubt die besuchte Website, dass man sich in einem anderen Land befindet.

Das ist praktisch, wenn man auf YouTube den allseits beliebten Satz "Dieses Video ist Deutschland nicht verfügbar…" lesen muss. Bisher war es recht umständlich, einen anonymen Proxy zu finden. Mit Stealthy hat man nur noch ein Symbol im Browser, das man mit einem Klick auf Grün (On) oder Rot (Off) schaltet.


Der völlig untaugliche Versuch, das Internet in lauter digitale DDRs aufzuteilen, ist bisher immer gescheitert.

Der GEMA hat dieser Beitrag offensichtlich nicht gefallen. GEMA-Blogger Franco Walther spart in einem Kommentar nicht mit Kritik. Er behauptet allen Ernstes, man sei für die Sperren nicht verantwortlich.

Da muss Google wohl lügen, wenn das ungeliebte Bild auf der YouTube-Seite erscheint. Sicherlich hat jemand anderes die Sperre veranlasst. Aber die üblichen Verdächtigen für Internetzensur scheiden diesmal aus: Der "lupenreine Demokrat" Wladimir Putin zensiert bestenfalls unwahre Videos über angebliche Wahlfälschungen und Zensursula wurde ins Arbeitsministerium versetzt. Es bleibt nur die GEMA als Übeltäter.

Natürlich ist alles eine Frage der Sichtweise: Schließlich hätte Google nur den übertriebenen Geldforderungen der GEMA nachgeben müssen und schon könnten Nutzer in Deutschland alle YouTube-Videos auch ohne Stealthy anschauen.

Wie viel Geld die GEMA von Google verlangt, ist aufgrund einer Geheimhaltungsvereinbarung (NDA) nicht genau bekannt. Spreeblick-Macher Johnny Haeusler, der sich im Rahmen seiner Möglichkeiten um einen Ausgleich zwischen der GEMA und Google bemüht und eine baldige Einigung anmahnt, hat Gerüchte gehört, dass etwa 2000 Euro pro eine Million Abrufe gefordert werden.

Darauf kann sich Google gar nicht einlassen. Erstens würde Google damit fast das Zwanzigfache zahlen müssen, was Verwertungsgesellschaften in anderen Ländern bekommen. In Großbritannien etwa hat sich Google mit dem dortigen GEMA-Pendant PRS auf durchschnittlich 118,50 Euro geeinigt.

Zweitens stehen den Forderungen der GEMA laut Spreeblick-Schätzungen nur etwa 5000 Euro Werbeeinnahmen gegenüber. Damit müsste Google 40 Prozent seiner Einnahmen an die GEMA abführen. YouTube wäre in Deutschland dazu verdammt, Verluste einzufahren.


VEVO bietet auf YouTube aktuelle Chart-Hits in der HD-Qualität 1080p an. In Deutschland zensiert die GEMA die Videos (Screenshot: ZDNet).

Google ist bekanntermaßen kein armes Unternehmen, aber die YouTube-Plattform ist bei weitem nicht so profitabel wie das Suchgeschäft. Ob und wie viel Google an YouTube verdient, hält das Unternehmen geheim. Bekannt ist lediglich eine Aussage von Eric Schmidt aus dem Jahr 2009, dass man vermutlich "demnächst" die Gewinnschwelle erreichen werde.

Analysten schätzen, dass YouTube weltweit etwa 1,6 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaftet. Spekulationen, ob das für einen wirtschaftlichen Betrieb der Plattform reicht, geben sie nicht ab.

Man kann aber davon ausgehen, dass selbst 500 Euro (10 Prozent der Werbeeinnahmen) den Video-Dienst auf absehbare Zeit zu einen negativen Deckungsbeitrag verdammen würde. Die GEMA rechnet vor, dass es für einen Urheber nicht hinnehmbar sei, für eine Million Abrufe nur einmalig 118,50 Euro zu bekommen, während Google 5000 Euro kassiere.

Allerdings muss ein Künstler nicht von 118,50 Euro pro komponiertem Song leben, schließlich verdient er auch an jeder leeren verkauften Speicherkarte und jedem USB-Stick sowie an jedem unbespieltem DVD- und Blue-ray-Rohling. Ganz nebenbei gibt es auch noch Tantiemen für CD-Verkäufe und legale MP3-Downloads sowie zahllose weitere Einnahmequellen.

Google kann von den 5000 Euro Werbeeinnahmen hingegen nur einen Bruchteil als Gewinn verbuchen, denn es muss den Betrieb von YouTube bezahlen. Das sind gigantische Beträge. Man darf die Kosten für Video-Hosting nicht mit einer Blogger-Website vergleichen. Die 720p-Version des Videos "LMFAO – Party Rock Anthem ft. Lauren Bennett, GoonRock" (in Deutschland nur mit Stealthy sichtbar) hat 127.069.715 Bytes. Das entspricht etwa sechs vollgepackten Aktenschränken an Text. So viel Speicherplatz wie ein einziges HD-Musikvideo braucht, werden die meisten Blogger in ihrem ganzen Leben mit Text nicht vollschreiben.

Um so ein Video auf hunderten Servern mit entsprechender Bandbreite vorhalten zu können, damit es tausende von Usern gleichzeitig ansehen können, muss eine extrem aufwändige Infrastruktur betrieben werden. Geht man von einer Bitrate von 3,2 MBit/s mit Protokolloverhead aus, ist für nur ein Video 3,2 GBit/s Bandbreite erforderlich, damit es 1024 User gleichzeitig in HD und Echtzeit anschauen können. In nur sechs Minuten und 15 Sekunden werden 151,47 GByte an Traffic erzeugt.

Die GEMA muss einsehen, dass mit Musikvideos auf YouTube derzeit keine großen Gewinne zu erzielen sind. Dementsprechend muss sie sich mit Beträgen in derselben Größenordnung wie in anderen Ländern zufriedengeben. Das muss nicht heißen, dass die GEMA und damit die Urheber nicht später mehr verdienen sollen, falls die Werbeeinnahmen steigen. Entweder koppelt man den Tarif an die tatsächlichen Werbeminuten für Musikvideos oder man einigt sich nur für einen kurzen Zeitraum, etwa ein Jahr, und verhandelt danach neu.

Letzteres dürfte das Sinnvollste sein, denn der Musikmarkt verändert sich in rasantem Tempo. Eine Vereinbarung für 10 Jahre oder länger ist zwar für die GEMA bequem, aber in einer sich immer schneller verändernden Welt muss sich auch eine Pseudo-Behörde, die glaubt, sie wäre eine Art Finanzamt im Musikmarkt, ständig neuen Gegebenheiten anpassen.

Sollte die GEMA sich nicht bewegen und ähnliche Tarife wie in anderen Ländern akzeptieren, muss man die Institution als Ganzes in Frage stellen. Das Zwanzigfache der international üblichen Abgaben muss Google nicht hinnehmen. Generell stellt sich die Frage, ob es noch zeitgemäß ist, nationale Verwertungsgesellschaften mit dem Einzug der Abgaben für Künstler zu beauftragen. Im Internet ist es sinnvoller, die Dinge global zu regeln.

Den Nutzern kann es im Endeffekt egal sein. Mit einem Dienst wie Stealthy ist das Problem aus Sicht der Anwender erledigt. Sollte sich ein Rechtsstreit über viele Jahre hinziehen, erhalten die Künstler in diesem Zeitraum halt gar keine Vergütung. Wenn das Verfahren nach 10 Jahren beim europäischen Gerichtshof landet, ist das, worüber heute gestritten wird, ohnehin aller Wahrscheinlichkeit nach obsolet.

ZDNet.de Redaktion

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