Apple: Splendid Isolation oder nur Isolation?


Apple-Jünger: erleuchtete Revolutionäre oder verblendete Mitläufer? (Bild: Jason Perlow, ZDNet).

Apple beneiden alle Anbieter von Unterhaltungselektronik um die hohe Loyalität seiner Kunden. Allmählich scheint das Unternehmen aber die Bodenhaftung zu verlieren, so der amerikanische ZDNet-Autor Jason Perlow. Wird der Bogen überspannt, könnte sich die Stärke der Firma – im Bewusstsein des eigenen Potenzials unabhängig vom Markt zu agieren – als Bumerang erweisen. Perlow sieht dabei – zugegebenermaßen etwas zugespitzt – viele Parallelen zwischen Nordkorea und Apple. Der gemeinsame Nenner heißt Isolation.

Das Prinzip iJuche

Isolation kennen wir als negativ belegten Begriff aus Worten wie Isolationshaft. Andererseits hat Isolation auch eine andere, schillerndere Seite. Etwa in dem Begriff „Splendid Isolation“. Mit ihm charakterisierte die britische Elite Ende des 19. Jahrhunderts die Situation ihres Landes. Durch die Insellage war es bestens gegen feindliche Übergriffe geschützt, gleichzeitig florierte durch die Beherrschung der Seewege die Wirtschaft. Was die anderen Mächte trieben, war den Briten ziemlich gleichgültig – dem eigenen Glanz und der eigenen Größe konnte das nichts anhaben.

In unseren Tagen hat die nordkoreanische Führungsspitze diese Einstellung theoretisch untermauert. Kim Il-Sung fasste diese Denkweise unter dem Begriff „Juche“ zusammen. Das Deutsch etwas holprig mit „Selbstständigkeit“ oder „Autarkie“ übersetzte Worte „Juche“ begegnet einem in Nordkorea auf Schritt und Tritt, entweder auf Plakaten oder in riesigen Monumenten. Juche Sasan, die „Juche-Idee“, lässt sich in vier Grundformeln zusammenfassen:

  1. Unabhängigkeit in Gedanken und Politik zu bewahren, wirtschaftlich autark zu sein und sich zur Verteidigung auf die eigene Kraft verlassen.
  2. Die Politik muss den Willen und die Wünsche der Massen widerspiegeln und zum Nutzen der Revolution und des Aufbaus einsetzen.
  3. Die Methoden der Revolution und des Aufbaus müssen der Lage des Landes angepasst sein.
  4. Die wichtigste Aufgabe von Revolution und Aufbau ist es, Menschen zu Kommunisten zu formen und sie zu konstruktiven Aktionen zu mobilisieren.

Da drängt sich doch ein Vergleich mit Apple direkt auf. Die Prinzipien von Juche Sasang durchdringen – beabsichtigt oder nicht – das Handeln von Steve Jobs und seiner Firma immer mehr – sozusagen als iJuche.

Klar hat Apple mit dem Kommunismus wenig gemeinsam. Das Unternehmen ist schließlich eine der erfolgreichsten Technologiefirmen der Welt und stellt damit sozusagen eine Verkörperung des Kapitalismus dar. Auch Apple ist „nur“ ein börsennotiertes Unternehmen, dessen einziger Daseinszweck es letztendlich ist, Geld zu verdienen. Als Teil des kapitalistischen Systems hat sich Apple jedoch für eine isolationistische Politik entschieden.

Unabhängigkeit in Gedanken und Handeln

Der erste und wichtigste Satz der Juchhe-Lehre – Unabhängigkeit in Gedanken und Handeln – war immer schon Teil der Apple-Philosophie. In Worte gefasst wurde er mit der Think Different-Anzeigenkamapagne von 1997. Seit 1984 hat sich diese „Thinking-Different“-Einstellung, der Macintoshism, zur Unabhängigkeit von den Gebräuchen der übrigen Computerbranche gewandelt. Gleichzeitig koppelte sich Apple vom Ökosystem der IBM-Intel-PC-Microsoft-Windows-Welt ab und erschuf sein eigenes kleines Ökosystem, was Software für den professionellen Einsatz anbelangt.

Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Das iPhone mit seinem eigenen, isolationistischen App Store und seinen merkwürdigen, sich teilweise widersprechenden Regeln, zu Zulassung von Anwendungen. Jede scheinbar mehrfach vorhandene Funktionalität wird generell abgelehnt. Außer dem zum iPhone-OS gehörenden Objective-C und den iPhone Web Applications ist nichts erlaubt. Adobe-Produkte fehlen auf iPhone und iPad. Und Java? Ebenfalls Fehlanzeige.

Dabei war Adobe einst die erste Adresse, wenn es um die Bereitstellung von „Killerapplikationen“ für Macintosh-Rechner ging. In der Vergangenheit tat sich das Unternehmen sowohl als Bannerträger als auch Vorzeigeschüler für iJuche hervor. Kürzlich wurde es wegen „Faulheit„, wie Steve Jobs es nannte, aus der Gemeinschaft der Auserwählten ausgeschlossen.

Adobe ist aber nicht die einzige Firma, von der sich Apple distanziert. Bei Google, einem anderen prominenten Fall, ließe sich immerhin einwenden, Apple habe nach dem Launch des Android OS keine andere Wahl gehabt. Das Ergebnis ist jedoch, dass „native“ Google-Anwendungen auf iPhone und iPad nicht mehr erlaubt sind.

Steht Apple bei Software bald alleine da?

Google forciert die Standardisierung von HTML5-basierenden Anwendungen für alle mobilen Geräte. Davon würde auch der Safari-Browser profitieren. Aber während dieselben HTML5-Anwendungen sowohl auf Android-Geräten wie auf dem iPhone laufen, können Android-Nutzer zusätzlich native Anwendungen für Google Mail, Google Maps, eines Tages Google Buzz, Google Voice und Google Chat ausführen. Nicht weil Google blockiert, sondern weil Apple das so will. Vergleichbares von Apple ist jedoch nicht in Sicht.

Auch Microsoft glänzt auf iPhone und iPad durch Abwesenheit. Egal, mag mancher denken – und dabei vergessen, dass Microsoft mit seiner Macintosh Business Unit die verbreiteteste Bürosoftware für Apple-Rechner bereitstellt. Für das iPhone gibt es kaum Microsoft-Anwendungen: Tag, Bing und Seadragon sind zwar nette, aber nicht wirklich unentbehrliche Tools.

Auch beim iPad-Launch hielt man vergeblich nach Microsoft Office Ausschau. Apple hat sich auch hier wieder einmal für iJuche entschieden und eine angepasste Variante von iWorks als eigene Office-Suite vorgestellt, die aus den Komponenten Keynote (Präsentation), Pages (Dokumentenverarbeitung) und Numbers (Tabellenkalklulation) besteht.

Angesichts des Vertrauens in die eigene Stärke, die Apple beim iPhone und beim App Store zeigt, ist es fraglich, ob Microsofts künftigen Angeboten oder auch denen der Open-Source-Gemeinde, etwa OpenOffice, der Zugang in das iPhone-iPad-Ökosystem gewährt werden wird. Ähnliches gilt für den Browser Opera. Er wurde zwar kürzlich für das iPhone optimiert und den App Store eingereicht, aber ob Apple ihn auch akzeptieren wird oder unter Hinweis auf die ominöse „Doppelfunktionalität“ ablehnt, steht in den Sternen.

Apple weiß, was Kunden wollen

Auch der zweite und dritte Lehrsatz von Juche Sasang finden sich in der Apple-Ethik wieder. Von Apple wurde immer gesagt, es gäbe Kunden was diese wollen. In Wirklichkeit tut Apple aber nur das, was für Apple gut ist. Es weiß einfach, was seine Kunden wollen – und was gut für Apple ist, ist auch das Beste für die Kunden. Warum sonst würde man der führenden unabhängigen Messe rund um den Macintosh und Apple-Produkte den Rücken kehren?

Nun zum vierten Lehrsatz – Menschen zu formen und sie zu konstruktiven Aktionen zu mobilisieren. Ja, Apple-Jünger wurden effektiv mobilisiert und dienen brav den Gedanken des iJuche. Alle Kritik wird kategorisch
verworfen und als unqualifiziert abgetan. Ein sachliches Gespräch oder gar Kritik an Apples Entscheidungen und Grundausrichtung lassen sich mit einem treuen iJuche-Anhänger schlichtweg nicht führen.

Kann das noch lange gutgehen?

Bisher hat der isolationistische Ansatz Apple gut gedient. Als eine der wenigen Firmen kam das Unternehmen gut durch die Krise. Und anders als die meisten großen Firmen der goldenen PC-Ära hat sich Apple ein Profil geschaffen, durch das es unverwechselbar am Markt wird. Apple ist der Premium-Anbieter schlechthin – und wird daher von vielen nachgeahmt. Meist mehr schlecht als recht.

Dass es auch anders geht zeigt Acer, nahezu der exakte Gegenpol zu Apple: Mit in der Regel wenig aufregenden PCs und Notebooks erzielt das Unternehmen Rekordergebnisse und profitiert – trotz gelegentlichen Polterns gegen Microsoft – von der großen und lebendigen Community rund um Windows-Software und Intel-Hardware. Und was ein App Store ist und leisten kann, hat man bei Acer auch schon verstanden. Kurzum: Acer agiert zwar weniger spektakulär aber nicht weniger erfolgreich als manche Mitbewerber, die krampfhaft versuchen, Apple nachzuahmen.

Als Premium-Anbieter wird Apple noch lange seinen Platz haben. Es ist aber fraglich, ob das auf Isolation und totale Kontrolle ausgerichtete Geschäftsmodell auch langfristig geeignet ist, große Kundengruppen anzusprechen. Kann man wirlich alles selbst machen?

Wirtschaftsexperten und Zukunftsforscher sagen, dass sich durch das Internet alles geändert hat. Weltweite Kooperation, gemeinsame Forschung und Entwicklung, die weltweite Jagd nach talentierten Mitarbeitern und Kooperationspartnern werden künftig den Markt bestimmen – und tun es teilweise heute schon. Wer sich öffnet, kann sich ungeahnte Potenziale erschießen, die eine Firma alleine – sei sie auch noch so groß – nie vorhalten kann.

Kann Apple mit seinem Ansatz in diesem Rennen langfristig mithalten, oder geht ihm irgendwann einfach die Puste aus – so wie Nordkorea? Wie lange wollen Kunden für die hausgemachte Technologie noch einen deutlichen Aufschlag bezahlen? Oder anders gesagt: Wann wird aus „Splendid Isolation“ einfach nur Isolation?

ZDNet.de Redaktion

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