Eben Upton, Schöpfer des nur kreditkartengroßen Einplatinen-Computers, war selbst völlig überrascht vom gewaltigen Erfolg des Raspberry Pi. „Wir haben ehrlich gedacht, dass wir rund 1000 davon verkaufen würden – in unseren kühnsten Träumen vielleicht 10.000 Stück“, bekannte er. Der 34-jährige Chipdesigner sprach mit Nick Heath von ZDNet UK ausführlich über die erstaunliche Entstehungsgeschichte des Raspberry Pi, seine vielseitigen Einsatzmöglichkeiten und die Zukunftspläne.

Keine großen Erwartungen

Während Upton an eine begrenzte Zielgruppe angehender britischer Informatiker gedachte hatte, sollte die Nachfrage um einige Größenordnungen höher ausfallen. Einen ersten Vorgeschmack davon bekam er, als im Mai 2011 ein BBC-Video zur Vorstellung des Pi auf Youtube 600.000 Mal betrachtet wurde.

Upton und seine Kollegen von der Raspberry Pi Foundation erhöhten daraufhin die geplante Erstproduktion auf 10.000 Platinen und gingen davon aus, damit die Nachfrage bedienen zu können. Doch beim Verkaufsstart im Februar vergangenen Jahres wurden schon am ersten Tag 100.000 Platinen zum Preis von etwa 30 Euro bestellt. Inzwischen konnten insgesamt rund eine Million der günstigen und vielseitigen Mini-Computer verkauft werden.

Chipdesigner Eben Upton im britischen Sony-Werk in Pencoed (Bild: Nick Heath).

Tüftler unter den Käufern bauten sie in Robot-Drohnen ein, Hobbyisten entwickelten mit ihnen eigene Systeme zur Heimautomatisierung. Vor allem aber erschaffen angehende Programmierer damit ihre ersten Anwendungen, genau so, wie es sich Eben Upton und seine Mitstreiter gewünscht hatten.

Die Mini-PC-Platine

Der Raspberry Pi ist so groß wie eine Kreditkarte und einer der billigsten Computer. Auf den ersten Blick sieht er nicht wie das aus, was man allgemein von einem Computer erwartet: Er besteht aus einer Platine und Anschlüssen.

Pi basiert auf dem Broadcom-Chipset BCM 2835 mit dem 700-MHz-Prozessor ARM1176JZFS. Als GPU dient Broadcoms Videocore IV, die Videos über einen HDMI-Ausgang in Blu-Ray-Qualität wiedergeben kann. Die Variante Model B verfügt über 512 MByte Arbeitsspeicher, zwei USB-Anschlüsse sowie eine Ethernet-Schnittstelle. Das seit Kurzem erst verfügbare Model A hingegen verfügt über 256 MByte RAM und einen USB-Anschluss.

Der Mini-Platinencomputer ist leistungsfähig genug, um Videos in 1080p zu streamen, im Web zu surfen oder Dokumente zu vearbeiten. Er wurde für problemlosen Transport ohne Bruchgefahr konzipiert. Auf Raspberry Pi laufen eine Reihe von Linux-Distributionen, darunter ArchLinux, Debian „Wheezy“ sowie Raspbian – eine für den Pi optimierte Version von Debian.

Die OS-Images für Raspberry Pi stehen hier zum Download bereit. Die meisten kommen zusammen mit Programmierhilfen wie integrierten Entwicklungsumgebungen und der Software Scratch, die Programmierung per Drag and drop erlaubt. Vom Desktop aus sind einfach weitere Programmierwerkzeuge zugänglich. Upton wünscht sich, dass künftige OS-Images direkt in eine Programmierumgebung booten. Diese Werkzeuge stehen absichtlich im Mittelpunkt, um zum Ausprobieren und Experimentieren anzuregen.

Es wurden zwei Varianten der Computerplatine entwickelt, Model A und Model B. Während Model B schon länger durch die Distributoren Premier Farnell und RS Components im Verkauf ist, wurde das noch günstigere Model A eben erst verfügbar.

Wie alles begann

Obwohl sie für eine der unerwarteten Erfolgsgeschichten im Computing des Jahres 2012 verantwortlich sind, hatten Eben Upton und seine Kollegen ursprünglich gar nicht die Absicht, einen Computer zu entwickeln. Die Raspberry Pi Foundation wurde eigentlich mit dem Ziel gegründet, die nächste Generation für das Programmieren zu begeistern. Es stellte sich jedoch heraus, dass es am besten zu erreichen war durch einen Computer, der billig genug für Jugendliche war und zugleich einfach genug, um ihn „hacken“ zu können.

„Ich habe mir unsere Gründungsdokumente angesehen, und da ist nirgends davon die Rede, einen kleinen Computer zu bauen“, erklärte Upton, während er ZDNet durch das Werk in South Wales führte, in dem Raspberry Pi produziert wird. „Da steht einfach nur, das wir die Kids zum Programmieren anregen wollen.“

Die Notwendigkeit dazu war Upton bewusst geworden, als er in der Cambridge University vor einigen Jahren mit für die Aufnahme von Informatikstudenten zuständig war. In den zehn Jahren seit seinem eigenen Studium hatten sich die Vorkenntnisse dramatisch verringert – während die Studienanfänger sich zuvor mit mehreren Assembler- und höheren Programmiersprachen auskannten, verfügten sie nun nur noch über ausreichende praktische Kenntnisse in HTML, Javascript und vielleicht noch ein wenig PHP.

„Sie hatten keine Gelegenheit gehabt, viel zu programmieren, bevor sie durch die Tür der Universität kamen“, berichtete er. „Man muss 10.000 Stunden dafür aufwenden, und das ist weit einfacher, wenn man mit 18 damit beginnt.“

Trotz seiner Überzeugung, dass sich die junge Generation noch immer für das Schreiben von Programmen interessiert, blieb er selbst unsicher, als Pi erstmals Jugendlichen gezeigt werden sollte. Die gängige Weisheit war schließlich, dass sie sich nur noch für das Herumspielen mit Smartphones und Social Networks interessierten, aber nicht für die zugrundeliegende Technologie.

„Ich hatte wohl nicht zufällig vermieden, meine Annahme vorher zu überprüfen““, sagte er. „Aber eine Woche vor dem Start nahmen wir sie in eine Schule mit, und die Kids drehten echt durch und wollten sie haben.“

Den Grund für die Begeisterung vermutet Upton im Gefühl, eine Maschine kontrollieren zu können – das fessle zuerst an die Programmierung. „Der Pi ist so einfach und ohne Drumrum. Deshalb haben sie wohl mehr als bei einem PC das Gefühl, dass es ihr Ding ist, wenn sie ihn dazu bringen, etwas zu tun.“

Die Platinen produzieren

Als größtes Problem der Raspberry-Pi-Stiftung sollte sich erweisen, die unerwartet hohe Nachfrage zu befriedigen. Die bescheidenen Mittel der gemeinnützigen Organisation kamen zunächst nur durch Darlehen von Upton und fünf anderen Kuratoren zusammen, und damit sollten die Chips gekauft und die Fertigung bezahlt werden. „Das hätte gut gereicht bei 10.000 Platinen, aber wir hatten keine Chance, damit 100.000 zu bauen“, erklärte Eben Upton. „Wir hätten in zweifacher Hinsicht zu kämpfen gehabt. Zum einen hinsichtlich der Finanzierung – wir hätten nicht das Geld gehabt, um sie schnell genug zu produzieren. Und dann hätte uns noch die Logistik zu schaffen gemacht, das alles auf den Weg zu den Käufern zu bringen.“

Raspberry Pi traf daher ein Abkommen mit den beiden bedeutenden Elektronikdistributoren Premier Farnell und RS Components, gab ihnen die Lizenz für Herstellung und Vertrieb der Platinen. Diese Partnerschaft gab die Nachfragemacht, um die Komponentenpreise niedrig zu halten, und war mit einem weltweiten Vertriebsnetz verbunden.

Raspberry Pi war im Februar 2012 innerhalb weniger Stunden ausverkauft

Die Platinen wurden zuerst in China hergestellt, aber im September zog die Herstellung nach Großbritannien um, genauer gesagt zum Werk eines walisischen Sony-Zulieferers. Diese Fabrik stellt inzwischen täglich 4000 Platinen her. Verkauft wird Raspberry Pi nur wenig über den eigenen Kosten. Obwohl die Stiftung den Gewinn mit den beiden Distributoren teilt, bleibt laut Upton noch Geld für wohltätige Zwecke übrig. „Wir schwimmen nicht im Geld, aber es reicht.“

Gefragtes Können

Die Motivation für Raspberry Pi bestand auch darin, einen künftigen Mangel an IT-Fachkräften zu vermeiden. Upton meint allerdings, dass die Krise längst da ist. In seinem Hauptberuf als Chipdesigner bei Broadcom erlebe er täglich, dass aus britischen Universitäten zu wenige neue Informatiker, Softwarentwickler und Programmier kommen.

„Es ist eine Branche mit vielen Nischen, und wenn ich mich bei Broadcom umsehe, dann sind da nicht genug Leute in ihren Zwanzigern“, sagte er. „Es sollten etwa ebenso viele Leute in den 30ern als in den 20ern sein, aber da sind viel mehr in den 30ern. Deshalb sind wir noch keine dem Untergang geweihte Branche. Aber wenn wir so weitermachen, dann unterschreiten wir vermutlich eine kritische Masse und sind nicht mehr zukunftsfähig.“

Verkäufe

Ungefähr ein Drittel der Raspberry-Pi-Platinen werden in Großbritannien abgesetzt, ein weiteres Drittel in Nordamerika und das verbleibende Drittel in der übrigen Welt. Außerhalb von Großbritannien und USA verkauft sich der Billig-PC vor allem in Europa. Relativ schwach blieben die Verkäufe in China, Indien und Südamerika.

Die besondere Beliebtheit in Großbritannien sieht Upton unter anderem in Verbindung mit dem Heimcomputer BBC Micro, der ab 1981 in britischen Schulen Verbreitung fand, da er in einer Sendung des BBC als Lehrmodell genutzt wurde. „Ich glaube, dass England in den 1980ern die stärkste eigenständige Computerkultur hatte und eine Menge Leute wie ich mit einem BBC Micro dabei waren.“

Kaum verwunderlich daher, dass zu den ersten Interessenten für den Pi überwiegend erwachsene Computerenthusiasten gehörten. Inzwischen schlage das Pendel aber zu den Jüngeren aus, da sowohl Eltern, Lehrer als auch Schüler die Platinen kauften. Zudem setzten Hunderte britischer Schulen das Gerät im Unterricht ein.

Die Enthusiasten wiederum setzten den Pi für unterschiedlichste Projekte ein, von selbststeuernden Schiffen bis zur aus der Ferne zu steuernden Heimautomation. Bei einem von Uptons Lieblingsprojekten aber wurde der Pi an einem Ballon befestigt und in den „Near Space“ in einer Höhe geschickt, in der die Erdatmosphäre nur noch ein Prozent ihrer Dichte hat und die Temperaturen unter 50 Grad minus fallen. „Ich bin ein echter Raumkadett“, sagte er. „Ich liebe diese Bilder mit der Schwärze des Weltraums, die er aus 40 Kilometer Höhe schießt.“

Unternehmen zeigen Interesse

Firmen entdecken zunehmend Möglichkeiten, die kleine Platine zu nutzen. Seit auch größere Aufträge für den Pi möglich sind, verzeichnet Premier Farnell Bestellungen über mehrere Hundert Stück. Wie Upton berichtet, kommen die Platinen ebenso in Fabriken für die Automatisierung von Fertigungslinien zum Einsatz wie in Medienwiedergabegeräten für Verbraucher. „Industriecomputer kosten üblicherweise einige Hundert Dollar und sind dabei meist weniger leistungsfähig als der Pi“, sagte er.

Der Pi biete sich daher als kostengünstige Alternative für Nischenanwendungen an. „Es gibt viele kleine Industriezweige. Keiner von ihnen ist groß genug, um es für jemanden lohnend zu machen, etwas für genau diesen Markt zu produzieren. Der Pi eignet sich hier als Multi-Werkzeug.“

Upton schätzt die Nachfrage für den Pi für ein weiteres Jahr auf monatlich zwischen 100.000 und 200.000 Stück. „Es gibt immer die Befürchtung, es könnte abflauen. Aber ich glaube, es gibt noch immer genug demographische und regionale Märkte, die wir bisher nicht erreicht haben, und das trägt uns noch ein wenig weiter.“

Zukunftspläne

Im Gegensatz zu den Branchenusancen will die Raspberry-Pi-Stiftung ihre Produkte nicht im Jahresrhythmus erneuern. Upton versichert, dass weder baldige Ankündigungen über neue Pi-Versionen oder wesentliche Preisänderungen zu erwarten sind. „Es wird irgendwann einen Nachfolger geben, aber ich glaube nicht, dass 2013 die Zeit dafür reif ist.“ Er wolle nicht die vielen Raspberry Pis verwaisen lassen, die bereits im Umlauf sind.

Er zieht schrittweise Verbesserungen der bestehenden Platinen vor. Das Model B hat bereits eine Verdoppelung seines Arbeitsspeichers von 256 MByte auf 512 MByte erfahren. Vor allem aber erscheint den Machern des Einfach-Computers die laufende Optimierung der Software durch die Stiftung und die Pi-Nutzer wichtig. Die Software sei ebenso wichtig wie die Hardware.

Für rund 20 Euro ist inzwischen auch das Model A erhältlich. Die Stiftung wollte auch diese Variante ursprünglich schon im letzten Jahr verkaufen. Da beide Platinen das Broadcom-Chipset BCM 2835 verwenden, musste sie aber warten, bis seine Herstellungspartner die Nachfrage nach den Model-B-Platinen bedienen konnten.

Die Model-A-Platine verzichtet auf die Ethernet-Schnittstelle, verfügt außerdem über nur 256 MByte RAM sowie nur einen USB-Anschluss. Diese winzige PC verbraucht jedoch noch einmal deutlich weniger Strom als Model B. Er eignet sich so beispielsweise auch für den Einsatz in batteriebetriebener Robotertechnik – und könnte auch noch weit stärker für den industriellen Einsatz infrage kommen.

[mit Material von Nick Heath, ZDNet.com]

ZDNet.de Redaktion

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