Ballmer hat Recht: Windows 8 ist Microsofts riskanteste Wette

Hilflosigkeit stellt sich bei vielen Anwendern ein, wenn die sich erstmals bei Windows 8 eingeloggt haben. Startbutton, Taskleiste, Fenster, Papierkorb – alles weg. Stattdessen leuchten einem überdimensionierte, quadratische oder rechteckige Kacheln entgegen, von denen sich einige ständig ändern.

Wenn man sich als jahrzehntelanger Computernutzer aber hilflos fühlt, sorgt das nicht gerade für positive Reaktionen. Und genau hier liegt das größte Problem von Windows 8: Es unterscheidet sich zumindest in Teilen so deutlich von seinen Vorgängern, dass es bei vielen Anwendern auf Ablehnung stößt. Trotzdem sollte man sich mit dem OS genauer beschäftigen. Denn einige Bedenken lassen sich schon nach kurzer Zeit ausräumen.

Metro ist auch für die Maus geeignet

Dass die Oberfläche von Windows 8 nun endlich auch für Tablets geeignet ist, bezweifelt niemand. Schon die Tests der im September 2011 vorgestellten Developer Preview haben dies bestätigt. Unsicherheit herrscht aber darüber, ob das Interface auch für die Mausbedienung geeignet ist. Schließlich sitzen die meisten Anwender vor einem klassischen Desktop-Rechner oder vor einem Notebook ohne Touchscreen. Und wer will sein Windows schon mit ausgetrecktem Arm bedienen?

Die gute Nachricht: Seit der Developer Preview hat Microsoft in diesem Punkt erheblich nachgebessert. Anstatt für den Wechsel zu Anwendungen immer den Startscreen besuchen zu müssen, gibt es jetzt einen Taskswitcher. Bewegt man den Mauszeiger in die linke obere Ecke, erscheint ein Preview-Thumbnail der letzten geöffneten Applikation. Der Wechsel erfolgt per Mausklick, begleitet durch eine sinnvolle Animation und mit beeindruckender Performance. Kaum hat man die Maustaste losgelassen, ist die App schon da. Auf diese Weise gelingt es, schnell zwischen zwei Apps hin und her zu springen.

Möchte man zu einer App wechseln, die man schon vor 20 Minuten geöffnet hat, bewegt man den Mauszeiger in die linke obere Ecke und von dort aus leicht nach unten. Dann zeigt Windows 8 eine Thumbnail-Liste der zuletzt geöffneten Apps an. Was in der Beschreibung möglicherweise kompliziert klingt, geht in der Praxis flüssig von der Hand. Denn mit der Maus eine Ecke des Bildschirms anzusteuern, erfordert deutlich weniger Präzision und Konzentration, als ein auf der Taskleiste positioniertes Icon zu treffen. Die so genannte Edge-UI macht sich übrigens auch Apple bei Funktionen wie Exposé zu Nutze.

Wenn man über den Verlust der Taskleiste hinweg ist – schließlich kennt man sie schon seit Windows 95 – klappt der Wechsel zwischen Programmen unter Windows 8 einwandfrei. Erstaunlich ist dabei die hohe Performance.


Bewegt man den Mauszeiger in die linke, obere Ecke, zeigt sich der Application Switcher. Zunächst wird nur das erste Thumbnail angezeigt, um zur letzten Anwendung zu wechseln. Zieht man die Maus etwas nach unten, wird wie hier dargestellt die komplette Liste sichtbar. Unten links ist das Thumbnail für den Wechsel zum Startmenü.

praktischer Startsceen

Kontrovers diskutiert wird auch der Vollbild-Startscreen. Er ersetzt das Startmenü – auch im Desktop-Modus. Der Startscreen ist durch einen Mausklick in die linke, untere Ecke von überall schnell zu erreichen. Die Kacheln sind so groß, dass sie mit geringer Präzision schnell mit der Maus angesteuert werden können.

Ein Nachteil ist allerdings, dass man für den Start eine App zangsläufig auf den Startscreen zurückkehren muss. Die Taskleiste mit ihren Icons ist dagegen immer da.

Der Startscreen mit seinen Live Tiles bietet allerdings deutliche Vorteile: Mit einem Blick sieht man beispielsweise, von wem die letzte Mail stammt, wann der nächste Termin ansteht und wie das Wetter wird. Wenn erst einmal weitere Apps im Store vorhanden sind, werden die Vorteile noch deutlicher. Für das letzte Gebot bei Ebay, den aktuellen Kontostand oder den neuesten Tweet müsste man dann nicht extra die jeweilige App aufrufen. Das Kozept mit den Live Tiles hat in Windows Phone 7 schon überzeugt.

Ein berechtigter Einwand gegen die Vorteile des Startscreen ist, dass er nur selten sichtbar ist. Schließlich laufen Metro-Anwendungen im Vollbild. Aber auch hier gibt es eine durchdachte Lösung. Ein Druck auf die Windows-Taste bringt einen von jeder App zurück auf den Startscreen, wo man sich kurz informieren kann. Drückt man die Starttaste ein weiteres Mal, ist man wieder in der App.

Praktisch ist der Fullscreen auch für die Suche: Um eine Anfrage zu starten, genügt es, einfach loszutippen. Die Ergebnisse werden nicht wie beim Startmenü zusammengepfercht, sondern auf dem gesamten Screen dargestellt. Über die Liste auf der rechten Seite lassen sich die Suchergebnisse auf bestimmte Anwendungen begrenzen, etwa die Kontakte- oder Karten-App.

umstrittene Apps

Während beim klassischen Windows-Desktop Ordner und Dateien im Mittelpunkt stehen, verfolgt Windows 8 zumindest in der Metro-Umgebung einen App-zentischen Ansatz. Dieses Prinzip kennt man bereits von Smartphones und Tablets. Für Microsoft ist dieses Schritt strategisch von hoher Bedeutung, um den Stellenwert von Windows als Plattform zu stärken. Denn während man mit seinem Smartphone Webdienste wie Twitter, Ebay und E-Mail ganz selbstverständlich mit der zugehörigen App nutzt, verwendet man unter Windwows meistens den Browser. Mit der Einführung des Windows Store und den einfach zu installierenden Apps hat Microsoft reagiert. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Internet-Dienste auch unter Windows mit eigenen Apps aufwarten.

Die als Metro-style-Apps bezeichneten Programme laufen immer im Vollbild und sollen per Definition für Touch- und Mausbedienung gleichermaßen ausgelegt sein. Alles, was sich mit dem Finger auswählen lässt, lässt sich natürlich auch mit dem Mauszeiger anklicken. Allerdings sind alle Elemente der Metro-style-Apps relativ groß und die Informationsdichte auf dem Screen ist im Vergleich zu einer Maus-optimierten Oberfläche deutlich geringer. Ein handfester Nachteil des neuen Interface.

Dazu kommt, dass Metro-style-Apps num im Vollbild laufen. Man kann jedoch per Snap-Modus zwei Apps nebeneinander darstellen, wobei eine davon eine Breite von 320 Pixeln hat. Tatsächlich erspart das Prinip die manuelle Anordnung von Fenstern. Und wer seine Windows-Anwendungen schon heute hauptsächlich maximiert betreibt, wird davon ohnehin eher wenig merken. Als sinnvoll erweist sich in der Praxis die vorgegebene Breite von 320 Pixeln im Snap-Modus. Entwickler können darauf reagieren, indem ihre App für diesen Modus sinnvolle Inhlte darstellt. Die Kontakte-App zeigt beispielsweise eine kompakte Auflistung der eingetragenen Personen. Die Standard-Darstellung ist deutlich weitläufiger.

Mit den Metro-style-Apps verfolgt Microsoft dasselbe Prinzip wie Smartphone- und Tablet-Apps: Begrenzter Funktionsumfang und einfache Bedienbarkeit. Ein Beispiel: Während E-Mail, Kalender und Kontakte bislang in Windows Live Mail zusammengefasst waren, finden sich dafür unter Windows 8 separate Apps: Mail, Kalender und Kontakte.

Generell muss man aber anmerken, das die in der Consumer Preview mitgelieferten Apps noch nicht ausgereift sind. Darauf weist Microsoft mit deutlich sichtbaren Preview-Logos hin. Daher ist es unsicher, ob es beim sehr bgrenzten Funktionsumfang der Foto-App bleibt, oder ob vielleicht doch noch Bearbeitungsmöglichkeiten dazukommen. Praktisch wäre beispielsweise auch die Möglichkeit, mehrere Fotos durch das Ziehen eines Rahmen mit der Maus markieren zu können.

Sehr umfangreiche Anwendungen wie Photoshop oder Visual Studio werden sich in absehbarer Zeit nicht in die Metro-Umgebung einfügen. Sie laufen weiterhin auf dem klassischen Desktop und werden mit der Maus bedient.

Desktop ist das Windows zweiter Klasse

Zwar wiederholen Microsoft-Manager bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass Windows eine Nutzererfahrung ohne Kompromisse bieten soll. In der Praxis wird dieses Versprechen nicht ganz eingehalten. Denn der klassische Desktop und somit das bisher bekannte Windows ist zwar weiterhin Teil von Windows 8, wirklich modernisiert wurde die Umgebung aber nicht. Zwar wurde der Support für mehrere Monitore verbessert und der Explorer mit dem Ribbon versehen, viel mehr lässt sich aber in dieser Kategorie nicht aufführen. Features wie Storage Spaces und die aufgebohrte Virtualisierung dürfte eher für einen kleinen Anwenderkreis interessant sein.

Durch die Beibehaltung der von Windows Vista und Windows 7 bekannten Aero-Glas-Optik wirkt der Wechsel auf den Desktop als deutlicher Stilbruch. Man wundert sich auch, warum klassische Anwendungen nicht aus dem Windows Store heruntergeladen und dementsprechend auch nicht darüber upgedatet werden können. Auch weiterhin benötigt jedes Programm seinen eigenen Updater.

Fazit

Hat man den ersten Schock überwunden, lohnt es sich durchaus, sich einmal genauer mit Windows 8 auseinanderzusetzen. Entgegen erster Befürchtungen erweist sich die Metro-Oberfläche auch bei der Bedienung mit der Maus als erstaunlich flexibel und durchdacht. Die schnelle Navigation zwischen den Apps und der Snap-Modus machen jedenfalls Spaß. Die vielfach sehr großen Schriften und Icons wirken aber befremdlich.

Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass weiterer Feinschliff notwendig ist: So sollte beispielsweise die Foto-App zumindest soweit ausgebaut werden, dass die Bilder nach Events oder nach Datum gruppiert werden können. Auch die Nachrichten-App, die dem Windows Live Messenger nachfolgt, hat bislang kaum etwas zu bieten. Für ein finales Urteil bezüglich Metro und seiner Apps ist es also noch zu früh.

Schon jetzt kann man aber feststellen, dass Microsoft den Desktop unter Windows 8 als Windows zweiter Klasse zurückstuft. Viele Modernisierungen wie etwa die Updates betreffen nur Metro-style-Apps. Auch ein ausgeklügeltes Fenster-Management, wie es Apples Mac OS X Lion mit Exposé bietet, ist nicht im neuen Windows enthalten.

Die spannende Frage ist, ob Anwender Metro als künftige Arbeitsumgebung akzeptieren, oder ob der Bruch zum Bekannten am Ende doch zu groß ist. Steve Ballmer hat also absolut Recht: Windows 8 ist die riskanteste Wette, die Microsoft jemals eingegangen ist. Ob sich dieser Mut auszahlt, muss sich erst zeigen.

ZDNet.de Redaktion

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