Windows 8: So sieht die Tablet-Oberfläche aus

Microsoft spielt derzeit auf dem Tablet-Markt eine Nischenrolle. Windows 7, auf dessen Basis ja schon seit einer Zeit Tablets verkauft werden, kann gegen die iOS- und Android-Konkurrenz nichts ausrichten: Es hat eine nur unzureichend auf die Fingereingabe optimierte Oberfläche. Selbst mit einer Skin, wie sie OEMs einsetzen, ist wenig gewonnen. Denn das OS reagiert auf Nutzereingaben zu träge. Zudem benötigt es viel mehr Ressourcen, was die Gerätepreise in die Höhe treibt und geringere Akkulaufzeiten zur Folge hat.

Diese Defizite wollen die Redmonder mit Windows 8 korrigieren. Dass Tablets bei der Entwicklung eine wichtige Rolle spielen, wurde bereits im Januar auf der Consumer Electronics Show deutlich. Damals kündigte Microsoft an, dass das neue OS auch auf den in Tablets populären ARM-Prozessoren laufen wird. Die Chips sind zwar nicht so schnell wie die x86-Konkurrenz, verbrauchen aber nur einen Bruchteil der Energie.

Auf der All Things Digital im kalifornischen Anaheim hat der für die Windows-Abteilung verantwortliche Microsoft-Manager Steven Sinofsky nun erstmals einen Blick auf die Oberfläche von Windows 8 gewährt. ZDNet zeigt die Details.

Startscreen mit Live Tiles

Schon auf den ersten Blick fühlt man sich an Microsofts Smartphone-OS Windows Phone 7 erinnert. Auf dem Startscreen sieht man die so genannten Live Tiles – eine Kombination aus Icon und Widget. Sie dienen zum Start von Applikationen, zeigen aber auch umfangreichere Infos wie das Wetter oder Aktienkurse an.


Die Tablet-Oberfläche von Windows 8 erinnert mit seinen Live Tiles an das Interface von Windows Phone 7 (Bild: Microsoft).

Im Vergleich zu Windows Phone 7 findet man aber eine deutlich größere Zahl rechteckiger-Tiles, die mehr Infos darstellen als die quadratischen – was angesichts des größeren Screens eines Tablets eine sinnvolle Entscheidung ist.

Neues Applikationsmodell auf HTML-Basis

Mit dem Tablet-Interface geht die Einführung eines neuen Applikationsmodells einher. Microsoft spricht in diesem Zusammenhang von Tailored Apps. Dabei handelt es sich um Programme, die für die Bedienung mit dem Finger optimiert sind. Die größte Überraschung: Sie werden in HTML5, JavaScript und CSS geschrieben, der in Windows 8 integrierte Internet Explorer 10 dient als Ausführungsschicht. Damit sichert sich Microsoft den Zugang zur größten Entwicklergemeinde überhaupt: zu den Webentwicklern. Ob Microsoft damit in diesem Bereich Eigenentwicklungen wie Silverlight den Rücken gekehrt hat, ist aber noch nicht ganz klar.

iOS und Android zeigen nur eine Applikation auf dem Screen an. Windows 8 bietet hier offenbar eine größere Flexibilität: So lassen sich die Anwendungen in der Breite verändern, damit man neben dem Twitter-Feed auch noch ein Video ansehen kann. Die Höhe einer Anwendung scheint allerdings nicht veränderbar zu sein. In einem richtigen Fenster laufen die Anwendungen also nicht.

Windows-8-Tablets müssen nicht nur über einen Touchscreen, sondern auch über einen berührungssensitiven Rahmen verfügen: Wischt man von rechts oder links Richtung Screen, zeigt Windows 8 eine Art Systemmenü (Einstellungen, Starttaste, …) beziehungsweise ermöglicht den Wechsel zwischen Anwendungen. Das Wischen von oben und unten bleibt der jeweiligen Applikation vorbehalten. Microsoft verfolgt die Philosophie, dass zumindest im Tablet-Modus der komplette Screen mit Anwendungen belegt ist, und nicht mit den Bedienelementen von Windows.

Im Rahmen verschiedener Demos machte Microsoft deutlich, dass das neue Interface nicht nur auf Tablets zum Einsatz kommen soll, sondern durchaus als neuer Startscreen von Windows konzipiert ist. Gezeigt wurden unter anderem All-in-One-PCs und klassische Notebooks. Die Steuerung kann auch mit Tastatur und Maus erfolgen.

Der klassische Windows-Desktop bleibt

Neben dem Touch-Interface gibt es auch den klassischen Windows-Desktop, wie man ihn heute kennt. Zwischen den beiden Oberflächen ist ein fliegender Wechsel möglich. Die Konsequenz daraus: Microsoft plant nicht unterschiedliche Windows-Versionen für unterschiedliche Endgeräte, sonder will mit einer Variante alle abdecken. Beide GUIs lassen sich auch parallel anzeigen.

Startet man aus dem Tablet-Modus eine klassische Desktop-Software wie Excel, kommt automatisch der bekannte Windows-Desktop zum Vorschein. Er soll Fingereingaben künftig besser unterstützen. Welche Änderungen Microsoft außerdem plant, wurde nicht bekannt. Während der Demos war lediglich zu sehen, dass der Explorer Anzeichen für ein Ribbon-Interface zeigt.

Unter der Haube

Zur Architektur von Windows 8 haben sich die Redmonder bislang nicht geäußert. Ob tatsächlich zwei Kernel zum Einsatz kommen, ist somit weiter unklar.

Microsoft hat betont, dass alle Demos mit echtem Code durchgeführt wurden. Sowohl die Applikationen selbst als auch der Wechsel zwischen den Oberflächen sehen zumindest auf den Videos sehr flüssig aus. Auch das Antwortverhalten des Screens scheint auf dem Niveau guter Smartphones zu liegen. Die Zusammenarbeit mit OEMs wurde laut Microsoft-Mitarbeitern intensiviert. Beispielsweise fokussiere man sich darauf, dass auf Windows-8-Geräten statt des BIOS das modernere UEFI (Unified Extensible Firmware Interface) zum Einsatz kommt. Das beschleunige den Bootvorgang um 40 Prozent.

Eine abschließende Einschätzung zum aktuellen Stand der Performance ist erst möglich, wenn Testgeräte zur Verfügung stehen. Im Vergleich zu Windows 7 sollen die Systemanforderungen für das neue System nicht steigen, sondern eher leicht fallen. Microsoft setzt wie bei Windows 7 darauf, sich eine möglichst große Hardwarebasis zu erschließen. Die Möglichkeiten hängen aber offenbar von der Auflösung des Displays ab. Auf Netbooks mit 1024 mal 600 Pixeln soll nur das klassische Windows-Interface zu sehen sein, bei 1024 mal 768 Pixeln auch die neue Oberfläche mit Vollbild-Anwendungen. Ab 1366 mal 768 Pixeln, heute der Standard bei Notebooks, kann man zwei der neuen Apps gleichzeitig darstellen.

Frühere Aussagen von Intel, wonach Windows-8-Systeme auf ARM-Basis keine x86-Software ausführen können, wurden von Sinofsky bestätigt. Eine Emulationsschicht werde es nicht geben. Die neuen Applikationen laufen ohnehin plattformübergreifend. Sein Office-Paket, das bislang nur als x86-Version vorliegt, hat Microsoft offenbar portiert.

Fazit

Dass sich Microsoft bei der Tablet-Oberfläche von Windows 8 an seinem Smartphone-OS Windows Phone 7 orientiert, ist keine Überraschung. Für Erstaunen sorgt dagegen die Ankündigung, bei der Entwicklungsplattform auf HTML und JavaScript statt auf proprietäre Technologien zu setzen. Das kennt man aus Redmond bislang anders. Strategisch ist dieser Schachzug aber geschickt: Denn damit ist jeder Webentwickler ein potenzieller Windows-Entwickler.

Letztlich hat die Präsentation mehr Fragen aufgeworfen als sie beantwortet: Etwa, ob die neue und die bisherige Oberfläche als gleichwertige Alternativen gesehen werden, oder ob das klassische Interface nur noch für alte Anwendungen gedacht ist. Vorstellbar ist das eigentlich nicht, denn auch wenn Touch derzeit das große Thema ist, wird es weiterhin viele Programme und Szenarien geben, in denen Maus und Tastatur deutlich produktiver sind.

Über den geplanten Zeitpunkt der Markteinführung wurde auf der All Things Digital nichts bekannt. Sinofsky sagte lediglich, dass noch nicht diesen Herbst erfolgt. In den nächsten Monaten will Microsoft weitere Infos zu Windows 8 veröffentlichen. Einen umfassenden Überblick soll es im September auf der Hausmesse Build geben, die vom 13. bis 16. September in Anaheim stattfindet. Die Redmonder geben sich durchaus ambitioniert: „1995 hat Windows den PC verändert. Build zeigt Dir, dass Windows alles verändert.“ Man darf gespannt sein, ob anders als bei Longhorn und Windows Vista den Worten diesmal Taten folgen.

ZDNet.de Redaktion

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