Bitkom-Präsident Scheer kritisiert Seehofers Äußerungen zur Zuwanderung scharf


Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer (Bild: Bitkom)

Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer hat heute in einer Telefonkonferenz zur Lage am Arbeitsmarkt für IT-Spezialisten die jüngsten Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer heftig kritisiert: Die Aussagen von Seehofer zu Zuwanderung und Fachkräftemangel seien „sehr zu hinterfragen“. Von der Politik werde die Diskussion in letzter Zeit „leider nicht immer sehr sachlich geführt“, so Scheer weiter.

Um die Debatte „zu versachlichen und auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen“, hat Scheer die Ergebnisse einer aktuellen Befragung von 1500 Unternehmen vorgestellt. Demnach suchen vor allem Softwarehäuser, IT-Dienstleister und Internetfirmen Mitarbeiter. Bei Anbietern sind dringend Softwareentwickler gesucht, bei Anwenderunternehmen in erster Linie Mitarbeiter für den internen IT-Support. Fast die Hälfte der befragten IT-Unternehmen konstatiert einen Fachkräftemangel bei IT-Experten.

Als Gründe haben sie neben den Schwächen des deutschen Bildungswesens den steigende Bedarf an Hochqualifizierten ausgemacht: Zwei Drittel der Firmen geben an, dass sie in Zukunft mehr IT-Experten mit Hochschulabschluss benötigen. Laut Bitkom konnten 29 Prozent der Unternehmen freie Stellen für Auszubildende in den IT-Berufen nicht besetzen, weil geeignete Bewerber fehlten. „Der Mangel an IT-Spezialisten ist ein strukturelles Problem, das von der Wirtschaftskrise nur vorübergehend gemildert wurde“, sagte Scheer. „Mit der konjunkturellen Erholung kommt das Fachkräfteproblem mit voller Wucht zurück.“

Statt der „unerträgliche Debatte um einen Zuwanderungsstopp“ fordert Scheer eine internationale Kampagne im Wettbewerb um die klügsten Köpfe in der Welt. „Deutschland sollte sich als weltoffenes Land präsentieren, in dem es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.“ Allerdings sei es schwierig, in diesem Wettbewerb zu bestehen, wenn keine einzige deutsche zu den weltweit 20 anerkanntesten Universitäten gehöre, schließlich wolle man nicht die „Studenten zweiter Klasse“, die womöglich nur nach Deutschland kämen, weil man hier kostenlos studieren könne, sondern solche, die sich wegen der guten Ausbildungschancen für Deutschland entscheiden.

Zur Problemlösung schlägt der Bitkom einen Drei-Punkte-Plan vor. Er sieht die Verbesserung der bestehenden Gesetzeslage und den Abbau bürokratischer Hemmnisse, den Start einer internationalen Marketingkampagne „Study and Work in Germany“ sowie eine Reform des Zuwanderungsgesetzes vor.

Konkret soll laut Bitkom bei Berufsgruppen, in denen der Expertenengpass besonders groß ist, auf die Vorrangprüfung verzichtet werden. „Wenn ein Unternehmen einen ausländischen Spezialisten braucht, hat es sich schon Gedanken gemacht, ob der Bedarf nicht anderweitig gedeckt werden kann“, so Scheer. Außerdem soll das Mindesteinkommen für den Erhalt einer Niederlassungserlaubnis von 66.000 auf rund 40.000 Euro im Jahr gesenkt werden, was ungefähr etwa dem Einstiegsgehalt von Informatikern und Ingenieuren entspricht.

Im Rahmen einer Marketingkampagne „Study and Work in Germany“ gelte es, die bestehenden Möglichkeiten der Zuwanderung im Ausland aktiv zu bewerben. Dazu sollten die wichtigsten Informationen auf einer mehrsprachigen Website aufbereitet werden. Botschaften, Auslandshandelskammern und Wirtschaftsverbände sowie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) sollten zu diesem Zweck eng zusammenarbeiten. Zusätzlich fordert Scheer ein aktives Auslandsmarketing für den „Lebensstandort“ Deutschland.

Drittens verlangt der Bitkom die Schaffung einer unabhängigen Kommission, die ein Konzept dafür ausarbeiten soll, wie sich Zuwanderung auf Basis eines Punktesystems steuern lässt. Vorbild dafür ist etwa die Vorgehensweise in Kanada. Danach könne eine bestimmte Zahl von Hochqualifizierten nach Deutschland einwandern, falls ein entsprechender Arbeitskräftebedarf besteht und sie Kriterien wie Qualifikation, Alter oder Sprachkenntnisse erfüllen. Kriterien und Zahlen könnten Politik und Wirtschaft je nach Bedarf und konjunktureller Lage gemeinsam festlegen.

Scheer wandte sich auch gegen Versuche, Zuwanderung und Bildung gegeneinander auszuspielen: „Natürlich muss alles getan werden, um die hier lebenden Menschen zu qualifizieren. Das reicht aber weder heute noch in Zukunft aus, um den Bedarf an Spezialisten zu decken.“ Aktuell gibt es laut Bitkom rund 28.000 offene Stellen für IT-Experten in Deutschland. Das sind 8000 mehr als im Vorjahr. 11.200 freie Stellen entfallen auf Firmen aus Informationstechnik und Telekommunikation, 16.800 auf andere Wirtschaftszweige.

ZDNet.de Redaktion

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