Google-Urteil des BGH: Rechteinhaber in die Pflicht genommen

Rechtsanwalt Solmecke sieht durch die Auffassung, dass bei bloßer Veröffentlichung im Internet eine konkludente Einwilligung vorliegt, „das Urheberrecht in seinen Grundsätzen verkehrt.“ Denn so müsste der Urheber aktiv Maßnahmen ergreifen, um die unbefugte Verwertung seiner Werke zu verhindern. Dies aber sähe das Urheberrecht grundsätzlich nicht vor. Es sei vielmehr so, dass der Nutzer sich um entsprechende Nutzungsrechte bemühen und nicht umgekehrt der Urheber für Schutz sorgen müsse.

„Letztendlich hätte ein entsprechendes Urteil auch den faden Beigeschmack, dass Goliath David eben doch überlegen ist. Denn auf andere Sachverhalte übertragen, wäre die Idee, dass der Urheber aktiv Maßnahmen gegen die unbefugte Nutzung seiner Werke ergreifen müsse, da anderenfalls eine konkludente Einwilligung vorläge, undenkbar. Man nehme nur einmal die Thematik des ‚Filesharings‘. Die einmalige Veröffentlichung eines Songs im Internet auf der eigenen Webpräsenz hätte zur Folge, dass der Urheber konkludent mit der Nutzung und Verwertung via Tauschbörsen einverstanden wäre“, sagt Solmecke.

So gesehen bleibt es also doch noch spannend. Endgültige Aufklärung wird es wohl erst geben, wenn der Bundesgerichtshof die ausführlichen Entscheidungsgründe vorlegt. Und auch dann ist noch nicht sicher, dass wirklich das allerletzte Wort gesprochen ist – zum Beispiel zum Filesharing.

Grundlegender gesellschaftlicher Sinneswandel

Das Urteil ist aber auch Ausdruck eines anderen, grundlegenden gesellschaftlichen Sinneswandels: Die Welt wird via Internet tatsächlich zum globalen Dorf. So wie man es früher hinnehmen musste, dass die ganze Gemeinschaft über eine peinliche oder unangenehme Angelegenheit tratschte, die einem auf dem Marktplatz zustieß, so selbstverständlich scheint es heute zumutbar zu sein, dass daran die ganze Welt teilhaben darf. Manche nehmen dies mit Web 2.0 und Social Networks mehr oder weniger bewusst billigend in Kauf oder nutzen die Möglichkeiten – zum Beispiel über Youtube oder verwandte Sites – sogar offensiv. Dadurch entstehen ganz neue Möglichkeiten.

Nachteilig ist die neue Offenheit allerdings für Menschen, die bisher vom Verkauf von Angeboten leben, die auf diese Weise nun allgemein zugänglich gemacht werden. Was für Möglichkeiten hat zum Beispiel ein Fotograf, der mit einigen seiner Bilder auf einer Website für sich und seine Leistungen wirbt, um die kostenlose Nutzung dieser Bilder im Rahmen einer Werbekampagne sagen wir mal in Tadschikistan oder Mosambik zu unterbinden? Realistisch gesehen wohl keine. Und das soll keine Kritik am Rechtssystem in diesen Ländern sein: selbst in Irland oder Finnland wird er sich schwer tun, seine Interessen durchzusetzen.

Vielleicht ist das aber einfach ein neues Risiko, mit dem man leben und das man hinnehmen muss, um in den Genuss neuer Möglichkeiten zu kommen. Auch Christoph Kolumbus musste bei seiner ersten Reise die Mannschaft davon überzeugen, dass sie weit draußen auf dem Meer nicht einfach über den Rand der Erde hinausfahren. Wer am schnellsten Wege findet, mit dem Risiko umzugehen, wird am Ende am meisten von den potenziellen Vorteilen profitieren.

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ZDNet.de Redaktion

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