Über die Gründe, warum das Gericht nicht wie beim Volkszählungsurteil bereits die massenhafte Erhebung von Daten als verfassungswidrig ansieht, kann man nur spekulieren. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung hat in seinem Kommentar „Gruslige Aussichten“ eine einfache Erklärung: Das Gericht habe sich schlicht und ergreifend nicht getraut, festzustellen, dass die EU mit ihrer Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ihre Kompetenzen überschritten habe.

Deshalb habe das Bundesverfassungsgericht die verdachtsunabhängige Massenspeicherung von Daten lieber erlaubt und das Urteil mit Warnungen an die Politik geradezu übersät. Es handele sich um einen besonders schweren Eingriff in die Rechte der Bürger mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kenne, habe das Gericht bereits selbst festgestellt.

Sollte Prantl mit seiner Theorie Recht haben, ist das Urteil ein Ausdruck dafür, dass die Balance der Gewaltenteilung in Deutschland nachhaltig gestört ist. Da es bekanntlich nicht zu einer supranationalen EU-Verfassung mit der Festschreibung von Grundrechten gekommen ist, sondern nur zum sogenannten Vertrag von Lissabon, der den Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft reformiert, gilt nach wie vor das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als Rahmen, in dem sich jegliche Gesetzgebung bewegen muss.

Selbst wenn man der Rechtsauffassung ist, dass der Vertrag von Lissabon unmittelbar geltendes Recht mit Verfassungsrang sei, lässt sich nur feststellen, dass zwar die EU-Grundrechtecharta nicht mehr Bestandteil des Vertrages ist, diese jedoch in allen Mitgliedsstaaten außer Großbritannien, Polen und Tschechien geltendes Recht ist. Sie führt neben den klassischen Grundrechten explizit auch den Datenschutz als Grundrecht auf.

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ZDNet.de Redaktion

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