Enterprise 2.0: Was für’n Quatsch!

Liest man sich den einen oder anderen aktuellen Artikel durch, könnte man den Eindruck bekommen, es gibt für Führungskräfte derzeit nichts wichtigeres, als ihre Firma mit allem Nachdruck auf den Weg zum Enterprise 2.0 zu bringen. Und auch die Hersteller wollen den angeblichen Trend nicht verpassen. An der Donau-Universität in Krems kann man sich sogar zum Certified Enterprise 2.0 Manager ausbilden lassen. Das wäre doch was für Jennifer Metzlaff, wenn es mit der Bundestagswahl nicht klappt …

Aber zurück zum Thema. Kritische Stimmen dazu sind selten. ZDNet-Autor Dennis Howlett hat sich das ganze Enterprise-2.0-Treiben jedoch eine Weile angeschaut, und sich jetzt Luft gemacht. Sein Fazit: Was für’n Quatsch!

Vor einigen Jahren besuchte Howlett eine Konferenz, bei der Western Digital vorgestellt hat, wie das Unternehmen ein Forum nutzt, um Feedback von Kunden zu bekommen und daraus abgeleitete Verbesserungen anzustoßen. Das funktionierte Recht gut – ohne dass irgendjemand es Enterprise 2.0 nennen musste. Es war einfach Teil der Art und Weise, wie der Festplattenhersteller sein Geschäft betrieb.

Heute – ein paar Jahre später – werden wir von allen Seiten mit Gründen und Argumenten versorgt, warum Firmen Enterprise 2.0 unbedingt einführen müssen. Dabei werden jedoch ein paar Dinge übersehen.

Der wichtigste: Die Weltwirtschaft macht ihre schlimmste Krise seit 75 Jahren durch. Nur jemand, der sich noch lebhaft an die Krise in den Dreißiger Jahren erinnern kann, hat schon einmal etwas Ähnliches erlebt. Und das sind – wenn man sich in seinem Bekanntenkreis einmal umschaut – wahrscheinlich gar nicht so viele.

Ganz egal, was die Enterprise-2.0-Jünger erzählen, haben die meisten Firmen im Augenblick also ganz andere Probleme. Die Welt besteht eben nicht nur aus Firmen, deren Geschäftsmodell lediglich auf dem Know-how ihrer Mitarbeiter aufbaut. Die Unternehmenswelt besteht vielmehr aus Hundertausenden und Millionen von Menschen, die Produkte entwerfen, herstellen und verkaufen – und sich dabei mit Verlaub gesagt einen feuchten Kehricht um die „emergente Natur“ von Unternehmen scheren. Die Diskussionen um Enterprise 2.0 sind für sie nichts weiter als Störgeräusche. Sie wollen einfach ihre Arbeit machen – am liebsten mit der besten dafür verfügbaren Technologie zum günstigsten Preis. Wenn das ein Wiki sein sollte, na gut. Wenn nicht: auch recht.

Obwohl das Interesse groß zu sein scheint, ist die Zahl der vorweisbaren Erfolgsstories klein. Firmen suchen zwar nach Wegen, wie sie ihre Kunden bestmöglich zufriedenstellen können. Aber wenn man denkt, das ließe sich allein mit einer tollen, neuen wie auch immer gearteten Community erreichen, dann sollte man nochmal nachdenken. Und zwar richtig.

Die meisten Enterprise-2.0-Verfechter haben bisher in kleinen Firmen gearbeitet, die weniger Restriktionen unterworfen sind, als sagen wir mal DAX-30-Unternehmen, Automobilzulieferer oder Pharmaunternehmen. Ihre Lösungsvorschläge klingen in den Ohren der für die Führung dieser großen Konzerne Verantwortlichen schlicht und einfach nach einer modernen Form der Anarchie.

Und ob es einem nun gefällt oder nicht: Große Firmen müssen einfach in Strukturen und Hierarchien arbeiten. Die Enterprise-2.0-Verfechter mögen sich darüber zwar lustig machen – sie haben aber noch keine Alternative vorstellen können, die die dadurch erledigten Funktionen sinnvoll ersetzen könnte. Das ist der Knackpunkt: Enterprise 2.0 setzt unreflektiert als gegeben voraus, dass sich Hierarchien zum Wohle aller einfach umstülpen lassen.

In den meisten Firmen bringt das aber überhaupt keinen Nutzen. Eine Ausnahme sind vielleicht Unternehmen, die allein auf dem Wissen ihrer Mitarbeiter aufbauen, etwa Anwaltskanzleien, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer oder Architektenbüros. Aber selbst wenn das so ist: Wo ist dort der Anwendungsfall für Enterprise 2.0?

Solange diese Frage nicht geklärt ist, braucht man sich nicht zu wundern, wenn entsprechende Projekte der Reihe nach scheitern. Offen ist auch – zumindest für mich – noch die Frage, welches Problem Enterprise 2.0 eigentlich zu lösen versucht. Kann mir die jemand beantworten?

ZDNet.de Redaktion

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