Second Life nach dem Boom: Wieder im Aufwind

Auf dem letztjährigen Treffen der Second-Life-Fans, der Second Life Community Convention (SLCC) in San Francisco, wurde die virtuelle Welt von den Massenmedien noch als merkwürdiger Tummelplatz für bizarre Subkulturen und utopische Traumtänzer betrachtet. Dann kam der Boom: Über keine andere virtuelle Umgebung wurde häufiger berichtet. Second Life mauserte sich nebenbei zum Liebling der Unternehmen. Firmen von NBC Universal bis Coca-Cola eröffneten eigene Niederlassungen in der virtuellen Welt. Auch CNET Networks verfügt über eigene virtuelles Gebäude. „Normale“ Veranstaltungen wie der Auftritt von Jay-Z in Jimmy Kimmels Late-Night-Talkshow wurden zeitgleich auch auf virtuellen Bühnen gezeigt. Die bunte 3D-Landschaft wurde bereits als das künftige Paradies für Handel, Werbung, Jobsuche und sogar zur Partnervermittlung angepriesen.

Doch schon wenige Monate später schlug der Wind dem Zweiten Leben ins Gesicht. Die häufig recht ruckelige Benutzeroberfläche der virtuellen Welt wurde zum Thema von Parodien. Die mangelhafte Infrastruktur der Betreiberfirma Linden Lab belegten gut dokumentierte Verzögerungszeiten und Abstürzen. Eine deutsche Variante des SLCC wurde abgesagt beziehungsweise auf 2008 verschoben.

Auch die Tatsache, dass die Server von Linden Lab die Teilnehmerzahl bei virtuellen Veranstaltungen auf wenige Dutzend Avatare beschränken, kommt bei Unternehmen gar nicht gut an. Diese wollen mit ihrer Präsenz in Second Life nämlich die Beliebtheit ihrer Marke demonstrieren. Skeptische Blogger begannen damit, Statistiken darüber zu veröffentlichen, dass Second Lifes anscheinend schnell wachsende Bevölkerung im Großen und Ganzen ziemlich inaktiv ist. Und in der Augustausgabe des Magazins Wired fand sich ein Artikel von Frank Rose mit dem Titel „Wie die Werbebranche Millionen in einem verödeten Second Life verschleudert“.

Zu schnelle Entwicklung

Nach Auskunft von aktiven Second-Life-Mitgliedern ist vieles einfach zu schnell oder zu früh gekommen. „Dies ist eine Welt, wo man eigene Erfahrungen machen und herumexperimentieren kann“, so Linda Zimmer, die das Blog „Business Communicators of Second Life“ betreibt. „Es ist kein Massenmedium. Das wird es auch zumindest die nächsten Jahre nicht werden… Ich denke, dass einige Unternehmen da mit völlig überzogenen Erwartungen herangegangen sind.“

Tracy Ryan ist Lehrbeauftragte für Marktforschung zur Wirksamkeit von Werbung an der Virginia Commonwealth University und spezialisiert auf die Werbelandschaft in den neuen Medien. Sie stimmt zu, dass Second Life eher als experimenteller Sandkasten betrachtet werden sollte. „Man muss sich einfach darauf einlassen und es ausprobieren. Werbung hat es in virtuellen Welten lange Zeit nicht gegeben „, sagt Ryan. „Wir wissen nicht genau, wie es funktioniert. Wie soll das Branding dort aussehen, wie reagieren Bewohner von Second Life oder jeder anderen virtuellen Welt auf Markenkommunikation?“ Ihrer Meinung nach lernen die Unternehmen erst langsam dazu.

Einige haben bereits den Rückzug angetreten. Sie mussten die Erfahrung machen, dass ihre Marken sich nicht so gut an Second Life anpassen ließen, wie sie gedacht hatten. „Der erste Fehler besteht darin, dass Unternehmen annehmen: ‚OK, wir haben einen sehr erfolgreichen Laden in der Fifth Avenue, also machen wir einfach in einer viel frequentierten Gegend von Second Life ein Geschäft auf. Das wird dann schon laufen.‘ So funktioniert Second Life aber nicht“, so Ryan.

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ZDNet.de Redaktion

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