Tschüss Firefox, war nett mit dir…

Der März war für den Browsermarkt außergewöhnlich ereignisreich: Google hat die Version 10 von Chrome veröffentlicht, Microsoft seinen Internet Explorer 9 und Mozilla nach einem langatmigen Entwicklungszyklus mit 12 Betas Firefox 4. Drei Major Releases von den drei führenden Browseranbietern – das gab es bisher noch nie.

Internet Explorer benötigte mehr als 15 Jahre, um sich bis zu Version 9 hochzuarbeiten. Firefox, einst der flexible Neuling im Ring, hat jetzt fast zwei Jahre gebraucht, um von Version 3.5 den nächsten großen Schritt zu machen. Zwischen 3.0 und 4.0 liegen sogar fast drei Jahre. Google hat es bei Chrome in derselben Zeit von 0 auf 9 geschafft, zwischen 9 und 10 lagen nur gut vier Wochen.

Diese Unterschiede im Tempo sind außerordentlich bemerkenswert und wichtig um zu verstehen, wie sich die IT-Welt verändert hat. Die Vorstellung gebrandeter Browser als Software-Monolithen erscheint zunehmend altertümlich. Google gibt dem Markt ein mörderisches Tempo vor und formt damit eine Welt, in der ein Browser nicht mehr ist als der Kitt zwischen verschiedenen Webangeboten, den man alle paar Wochen erneuert. Und wem das noch zu langsam erscheint, der kann sich jede Nacht einen neuen Build herunterladen.

Wirft man einen Blick auf die Geschichte von Microsoft und dem Internet Explorer, liegt es nahe anzunehmen, dass Redmond einfach nicht mehr in der Lage ist, mit der Geschwindigkeit des Internets Schritt zu halten. Genau so leicht ist es aber auch, die Roadmap von Mozilla für zu ambitioniert zu halten: Laut ihr sollen nämlich die Versionen 5, 6 und 7 von Firefox noch im Lauf des Jahres zum Download angeboten werden.

Mozilla ist im Jahr 2005 stehengeblieben

Ein genauerer Blick auf den Entwicklungszyklus für IE 9 zeigt jedoch, dass die Wahrheit etwas anders aussieht: Microsoft spielt in einer Liga mit Google. Mozilla ist dagegen im Jahr 2005 stehengeblieben. Das ist auch der Grund dafür, warum in fünf Jahren der Kern des Internet Explorers immer noch da sein wird, während Firefox im günstigsten Fall auf eine kleine Gemeinde von fanatischen Anhängern zählen können wird.

Die erste Platform Preview von Internet Explorer 9 wurde am 16 März 2010 veröffentlicht. Die finale Version kam fast auf den Tag genau ein Jahr später heraus. Das ist wahrscheinlich kein Zufall: IE9 ist ein Bestandteil von Windows und seine Entwicklung spiegelt die selbe Disziplin wider, die man auch bei Windows 7 feststellen konnte: Planen, Entwicklen, Stabilisieren, Ausliefern. Und dann das Ganze wieder von vorn.

Microsoft: nur scheinbar im Hintertreffen

Während des zwölfmonatigen Zyklusses brachte Microsoft eine Beta und eine Release Candidate heraus. Wichtiger ist aber eigentlich, dass sieben Updates der Platform Preview kamen – immer im Abstand von ungefähr 6 bis 8 Wochen. Dazu muss gesagt werden, dass Microsoft jeder davon eine Benutzeroberfläche und eine Versionsnummer hätte verpassen können, ohne dass sich jemand darüber hätte beschweren dürfen. In dem Fall käme Microsoft mit seiner Schlagzahl ziemlich genau an die von Google heran. Aber man ließ sich in Redmond nicht auf solche Scharmützel ein, sondern konzentrierte sich auf die Rendering Engine. Diese Platform Previews richteten sich nicht an das breite Publikum, sondern an Anwendungsentwickler.

Obwohl sich Microsoft zu seinen weiteren Plänen nicht äußert, kann man doch davon ausgehen, dass das einmal angeschlagene Tempo beibehalten wird – auch wenn sich das möglicherweise von außen schlechter wird feststellen lassen. Das aktuelle Release stellt weniger ein erreichtes Ziel dar, als vielmehr einen weiteren Meilenstein in einem längerfristigen Prozess. Die IE 9-Engine wird noch im Lauf des Jahres in Telefonen zu finden sein und eine wichtige Rolle in kommenden Windows-Versionen spielen.

Was ist heute Microsofts größte Herausforderung? Wir leben noch nicht in der Post-PC-Ära – aber wir sind auf dem Weg dorthin. Um den Wandel erfolgreich mitgehen zu können, benötigt man eine Plattform, die sich von Handhelds bis zu Workstations, von winzigen Smartphone-Screens über Tablets bis zu wandfüllenden Displays anpassen lässt. Dieses Ziel wird Microsoft nicht erreichen, wenn es lediglich am klassischen Windows-Interface herumschraubt. Jeder, der schon mal einen Windows-7-Tablet-PC in der Hand gehabt hat weiß, dass ein größerer Startknopf und eine Taskbar dieser Aufgabe nicht gerecht werden.

Apps statt Extensions

Auf der MIX-Konferenz im vergangenen Jahr hat Microsoft auch über seine neue App-Plattform gesprochen, die auf einer einfachen Design-Philosopie basiert: Code einmal schreiben, damit aber eine Vielzahl von Plattformen abdecken. Damit liegt Redmond mit Google auf einer Wellenlänge. Google hat eine ganze Familie von Anwendungen, die dafür ausgelegt sind ausschließlich in einem Browser zu laufen. Dazu gehören Google Mail und Google Docs, vor allem aber der Google Apps Marketplace, wo Drittanbieter Software für Projektmanagement, CRM und Finanzbuchhaltung schreiben, die dafür gedacht sind, mit Chrome zu laufen.

Microsoft hat inzwischen Outlook Web Access 2010, eine sehr ordentliche Nachbildung der Outlook-Benutzeroberfläche. Microsoft Office Web Apps sind ein interessanter erster Schritt, die Mängel aber noch eklatant und der Abstand zwischen Word und Excel im Browser und dem jeweiligen Gegenpart auf dem Desktop riesig.

Noch. In zwölf Monaten kann es gut sein, dass eine Beta von Microsoft Office für das Web vorliegt, die dafür konzipiert ist, im Browserfenster zu laufen. Viel wichtiger jedoch: Es ist fast sicher, dass bis dahin nicht nur eine Beta von Windows 8 vorliegen wird, sondern auch eine alternative, in HTML5 geschriebene und für den Gebrauch auf Tablets ausgelegte Shell für Windows 8. Sie wird die Rendering Engine des Internet Explorers nutzen, die ihre Qualitäten bereits bewiesen hat, und ohne die gewohnten, aber altmodischen Benutzeroberflächen auskommen.

Und Firefox? Das einstige Browserwunderkind hat kein App-Ökosystem und keinen Kern loyaler Entwickler. Mit Extensions konnte man sich 2005 profilieren, 2012 locken sie niemandem mehr hinter dem Ofen hervor. Alles was zählt, sind dann Apps: Firmen und Privatanwender werden zum Surfen den selben Browser nutzen wollen, den sie auch für ihre installierten Anwendungen benötigen. In der PC-Welt wird das Google oder Microsoft sein. Das lässt keinen Platz für einen dritten Anbieter. Das heißt dann leider: Tschüss Firefox, war nett mit dir…

ZDNet.de Redaktion

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