Videokonferenzen: eine echte Alternative zur Geschäftsreise?

Die meisten großen Unternehmen haben schon seit Jahren Video-Conferencing-Studios für das obere Management an wichtigen Standorten installiert. Inzwischen dringt die Videokommunikation aber auch verstärkt in kleine Firmen und an einzelne Arbeitsplätze vor.

Analysten der Yankee Group fragten über tausend kleine und mittlere Unternehmen warum sie Videokonferenzsysteme einsetzen. 72 Prozent wollen vor allem Reisekosten, Reisespesen und Reisezeiten reduzieren. 42 Prozent möchten die individuelle Produktivität der einzelnen Mitarbeiter erhöhen. 39 Prozent versprechen sich durch Video-Meetings eine verbesserte Gruppenzusammenarbeit („Collaboration“) im eigenen Unternehmen. Zehn Prozent nannten die Reduzierung der CO2-Belastung durch weniger Geschäftsreisen als ganz wichtigen Motivator. Neun Prozent der Firmen rollen gerade Unified Communications von Microsoft oder anderen Herstellern aus, und da gehört eine Videokamera am Arbeitsplatz dazu.

Achim Berg, Chef bei Microsoft Deutschland, zitiert eine Forrester-Untersuchung zum Einsatz von Unified Communications und Collaboration im Hause Microsoft: Einerseits bewirke die neue Technik rund um Office 2007 und 2010 eine engere und effizientere Zusammenarbeit. Andererseits habe man mit der Substitution von Auto-, Bahn- und Flugreisen durch die virtuellen Live-Meetings via Videocam bei Microsoft „in weniger als sechs Monaten alleine in Deutschland 1,2 Millionen Euro an Reisekosten eingespart.“

„Wir haben ganz bewusst gesagt, wir möchten interne Meetings nicht mehr in einem Raum haben, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Das haben wir so durchgesetzt. Es ist beeindruckend, was man einsparen kann – auch an unsinnigen Terminen“. Bei Video-Meetings kommen die Leute offenbar viel schneller auf den Punkt als bei herkömmlichen Treffen. Manche Mitarbeiter sind sogar froh, wenn sie dank Video-Conferencing weniger Fernreisen machen müssen, denn lange Flüge können nicht nur der Gesundheit schaden, sondern wirken sich auch nachteilig auf die „Work-Life-Balance“ aus.


In Firmenzentralen sind Videokonferenzstudios in Full HD 1080p schon recht verbreitet. In Zukunft könnten auch mittlere und kleine Firmen mehr Dienstreisen durch virtuelle Video-Meetings ersetzen (Foto: Tandberg).

Andere Mitarbeiter dagegen reisen ausgesprochen gerne, flüchten aus dem Büroalltag, suchen den Tapetenwechsel, sehnen sich nach fremden Ländern, Menschen, Sitten, Sprachen und Kulturen – die wollen nicht telekonferieren. Wieder andere fliegen mehr als nötig wegen schnöder Bonusmeilen und sammeln Freiflüge für sich und ihre Liebsten. Wer weit reist, muss wichtig sein. Das beeindruckt Nachbarn, Freunde und die Familie. Diese Einstellung ändert sich nur langsam, falls überhaupt.

Gegner von Video-Meetings

Außerdem zahlen einige Firmen ihren Mitarbeitern pauschal höhere Auslandszulagen und Spesen, als diese dort wirklich verbrauchen. Hinzu kommt Einkommenssteuerfreiheit in einigen Drehkreuzländern. All diese Reisebelohnungen fallen bei Video-Meetings plötzlich weg. Ein Ausweg ist, dass Arbeitgeber völlig neue Motivationssysteme einführen, die nicht das Reisen, sondern das Video-Conferencing belohnen.

Bis vor kurzem gab es zudem auch technische Hindernisse. Dazu zählten zu geringe Bandbreiten und zu lange Ping-Zeiten, in deren Folge verschwommene Videobilder, ruckartige Bewegungen, Klirren oder Hall bei der Tonübertragung auftreten. Ferner gab es eine mangelnde Kompatibilität zwischen unterschiedlichen Videokonferenzsystemen und eine völlig fehlende Kompatibilität zwischen Systemen zur Videokommunikation via Festnetz und Mobilnetz zu beklagen.

„Das Thema Videotelefonie, das man heute auch Live Meeting nennt, hat man viele Jahre mit Brachialgewalt zu etablieren versucht. Es ist einfach nicht zum Fliegen gekommen“, erinnert sich Ex-Telekom-Manager Achim Berg. „Der Hauptgrund war, dass beide Teilnehmer bestimmte Endgeräte benötigten. Mit den neuesten Technologien ist es aber anders: Man kann im Prinzip handelsübliche PCs nutzen, ohne viel zusätzlicher Software, aber gleichzeitig auch mobile Endgeräten. Alles was ich auf dem PC habe, das habe ich auch auf dem mobilen Endgerät und irgendwann auch auf dem Fernseher. Diese typische Drei-Schirm-Lösung, das ist Unified Communication.“


Idealerweise sollten Smartphones, Laptops, PCs und Multi-Monitor-Raum-Systeme über LAN, WLAN, 3G und 4G voll kompatibel miteinander videokonferieren können. Das war bisher nicht so. Standards wie SIP und H.264 bringen aber Fortschritte (Grafik: Vidyo).

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ZDNet.de Redaktion

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