Zensurgesetz beschlossen: Aus für das freie Internet?

Die größte Problematik, die das sogenannte „Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ aufwirft, ist die, dass die Internetprovider nicht nur einen Freibrief zum Aufbau einer Zensurinfrastruktur erhalten, sondern sogar dazu verpflichtet werden. Politiker fordern bereits heute eine Erweiterung der Zensur auf andere Bereiche.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) warnte im Hamburger Abendblatt „Ich gehe davon aus, dass dadurch Begehrlichkeiten geweckt werden, auch Inhalte ausländischer Anbieter zu reglementieren, die keinen Bezug zu Kinderpornografie aufweisen“. Unions Fraktionsvize Wolfgang Bosbach gab gegenüber der Berliner Zeitung offen zu, dass das stigmatisierende Thema Kinderpornografie nur als Türöffner für weitere Zensur dienen soll. Wörtlich sagte er der Zeitung „Ich halte es für richtig, sich erstmal nur mit dem Thema Kinderpornografie zu befassen, damit die öffentliche Debatte nicht in eine Schieflage gerät“. Zwei Wochen später erklärte er im Widerspruch dazu gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger, er kenne niemanden, der ernsthaft das Ziel verfolge, weitere Inhalte auf gleiche Art und Weise sperren zu wollen. Erinnerungen an ein Ulbricht-Zitat werden wach.

Auch SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz forderte zunächst in der Berliner Zeitung eine Ausweitung der Sperren mit den Worten „Natürlich werden wir mittel- und längerfristig auch über andere kriminelle Vorgänge reden“. Später fühlte er sich missverstanden und korrigierte sich, indem er klarstellte, dass verfassungsfeindliche oder extremistische Äußerungen keine Straftaten seien, solange keine Gesetze verletzt würden.

Dabei geht es weniger um die Frage, nach extremistischen Inhalten, sondern vielmehr um die grundsätzliche Frage, welche Gesetze bei einer Sperre Anwendung finden. Die deutschen oder die Gesetze des Landes, in dem das Internetangebot betrieben wird. So beklagen sich seit längerem die staatlichen Lotteriegesellschaften über sinkende Einnahmen wegen der vielen Online-Kasinos im Internet, die größtenteils legal im Ausland operieren. Die hessische Landesregierung fordert daher offen die Sperrung von Online-Kasinos. Neben Verfassungstreue stehen vor allem auch Wirtschaftsinteressen staatlicher Unternehmen im Vordergrund. Es geht um den Verlust von Einnahmen in Milliardenhöhe.

Befürworter des Gesetzes argumentieren, dass im Gesetzestext – insbesondere nach einigen Änderungen auf Drängen der SPD-Fraktion – nun klargestellt sei, dass es ausschließlich auf Kinderpornografie beschränkt bleibe. Doch genau das wird zur Falle. Alle Bereiche jenseits der Kinderpornografie werden durch das Gesetz nicht berührt – weder positiv noch negativ. Das bedeutet, dass das sogenannte Richterrecht gilt.

Noch im November 2008 lehnte das Landgericht Hamburg in einem Urteil (Az 308 O 548/08) eine DNS-Sperre für eine Website ab, auf der urheberrechtsgeschützte Filme zum Streaming angeboten wurden. Die Störerhaftung des Providers greife nur, wenn die Entfernung oder Sperrung technisch möglich sowie zumutbar ist, so das Gericht. Das Gericht stimmte einer Sperrung grundsätzlich zu, lehnte sie jedoch ab, da der Provider nicht über eine geeignete Technik verfüge. Da das Zensurgesetz die Provider nunmehr zwingt, die technische Infrastruktur für eine Zensur ohnehin bereitzustellen, ist zu erwarten, dass die BKA-Liste durch weitere Sperrlisten von Gerichten ergänzt wird, die im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit weitgehend nach Gutdünken entscheiden können, da kein gesetzlicher Rahmen vorliegt.

Urteile, einstweilige Verfügungen und sogar Verwaltungsakte zur Sperrung von Sites wie Youporn und rotten.com zeigen, dass offensichtlich die Grundrechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit nicht ausreichen, das Internet von Zensur frei zu halten.

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ZDNet.de Redaktion

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