Zensurgesetz beschlossen: Aus für das freie Internet?

Im Detail steckt das Gesetz voller Problematiken, die von großer Inkompetenz seiner Macher zeugen. Nur eine davon ist die, dass bei DNS-Sperren immer eine ganze Domain gesperrt wird und nicht nur einzelne URLs. Ein Anbieter von kostenlosen Homepages, der seine Dienste unter einer URL wie http://example.com/username anbietet, muss fürchten, dass alle Homepages nicht mehr erreichbar sind, wenn ein Kunde unter http://example.com/user1 Kinderpornografie anbietet, da mit den staatlich verordneten DNS-Fälschungen die gesamte Domain example.com unerreichbar wird. Auch bleiben die Sperren nicht auf HTTP-Server beschränkt. Alle anderen Dienste der gesamten Domain sind unerreichbar. So kommen E-Mails an user@example.com nicht mehr an, wenn der sendende SMTP-Server einen Zensur-DNS-Server verwendet.

Auf diese Weise kommt es automatisch zu Konflikten mit dem Grundgesetz. Durch das sogenannte „Overblocking“ wird natürlich überflüssigerweise die Meinungsfreiheit von Homepageanbietern eingeschränkt, die zufällig ihre Homepage bei einem Anbieter hosten, bei dem ein anderer Kunde kinderpornografisches Material anbietet.

Ebenso wird das Grundrecht auf Informationsfreiheit derer eingeschränkt, die auf eine legale Homepage zugreifen möchten. Einem Bürger der USA wird es möglicherweise egal sein, wenn seine Homepage aus Deutschland nicht erreichbar ist und er wird sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit wohl kaum beim Bundesverfassungsgericht einklagen. Trotzdem haben Internetnutzer aus Deutschland das Recht, von diesem Inhalt Kenntnis zu nehmen, unabhängig davon, ob die angebotenen Informationen für sie relevant sind.

Neben den verfassungsrechtlichen Problemen können weitere juristische Fragestellungen aufgeworfen werden. Jemand, der stolz die URL seiner neuen Homepage im Freundes- und Bekanntenkreis präsentiert, wird nicht gerade begeistert sein, wenn seine Besucher auf dem angezeigten Stoppschild lesen können, dass sie soeben auf einer Seite gelandet sind, die „im Zusammenhang mit der Verbreitung von Kinderpornografie genutzt wird“.  Die Rufschädigung ist vorprogrammiert. Für eine Firma kann es das Aus bedeuten, wenn ein solches Stoppschild anstelle der Homepage erscheint.

Zielführend ist das Gesetz ohnehin nicht. Das staatliche DNS-Spoofing lässt sich leicht umgehen, indem man einfach andere DNS-Server benutzt, als der Provider vorgibt, oder eigene DNS-Server aufsetzt. Einen Kinderpornokonsument wird diese Hürde kaum abschrecken, da er noch ganz andere technische Maßnahmen treffen muss, um unentdeckt zu bleiben. Daher werden Vorwürfe laut, dass das Gesetz nur dazu führe, die Öffentlichkeit zu beruhigen, indem ihr Scheuklappen aufgesetzt werden.

Um die Sperre zu umgehen, kann man grundsätzlich jeden DNS-Server im Internet benutzen, der nicht staatlich gespooft wird. In der Regel beantworten DNS-Server jedoch nur Anfragen aus dem eigenen Netz. DNS-Server von öffentlichen Providern lassen nur Anfragen von ihren eigenen Kunden zu. Firmen beschränken ihre DNS-Server meist auf das eigene Intranet. Somit ist es nicht möglich, den DNS-Server eines Providers aus einem anderen Land zu nutzen, das keine DNS-Fälschungen vorschreibt oder sie gar verbietet.

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ZDNet.de Redaktion

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