Facebooks Internet.org hat auch in Brasilien Ärger

Facebooks Initiative Internet.org wird von Bürgerrechtlern und Datenschützern in Brasilien als Gefahr für die Netzneutralität kritisiert. Letzte Woche hatten CEO Mark Zuckerberg und die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff ein Vertragswerk unterzeichnet, das eine kostenlose WLAN-Versorgung insbesondere armer Viertel brasilianischer Städte durch Internet.org vorsieht.

Das erste solche Angebot wird voraussichtlich im Juni in Heliópolis eröffnet, dem mit rund 200.000 Bewohnern größten Slum von São Paulo. Es gilt als Blaupause für eine landesweite Einführung. Mit rund 83 Millionen Nutzern ist Brasilien heute schon Facebooks zweitgrößter Markt, hinter den USA.

Gegen diese Pläne protestieren nun 35 gemeinnützige Einrichtung in einem offenen Brief an die Präsidentin. Darin heißt es: „Wir stimmen überein, dass es in Entwicklungsländern wie Brasilien an Zugängen zu mobilem und Festnetz-Internet mangelt, sowohl in der Fläche wie auch in der Qualität. [Aber] wir glauben, das dieses Projekt, das Facebook in einer Reihe von lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Ländern bewirbt, die Zukunft der Informationsgesellschaft gefährden könnte, ebenso wie die Wirtschaftlichkeit digitaler Umgebungen und die Rechte von Anwendern im Netz, darunter Privatsphäre, Meinungsfreiheit und Netzneutralität.“

Die Organisationen rufen zu einem Abbruch der Verhandlungen mit Facebook über das kostenlose Internet-Angebot in Brasilien auf. Sie beziehen sich vor allem auf das Marco Civil da Internet, ein von Präsidentin Rousseff selbst eingeführtes Internet-Grundgesetz, das als Internet wegweisend gilt. Zudem schreiben sie, dass einem solchen Vertrag eine öffentliche Debatte vorangehen sollte.

Android-App für Internet.org (Bild: Facebook)

Unter anderem steht in dem Brief: „Die Ankündigung einer Partnerschaft mit Facebook ohne vorheriges Wissen der Bürgergemeinschaft weicht von dem demokratischen, transparenten und alle einschließenden Ansatz ab, der bei Entscheidungen und Diskussionen rund ums Marco Civil da Internet gewählt wurde.“ Das brasilianische Gesetz wurde in einem ungewöhnlich offenen Verfahren entwickelt. Über eine Online-Plattform konnten Bürger ab 2009 Änderungsvorschläge und Kritik zu einem frühen Entwurf äußern. Fast 2000 Menschen nahmen daran teil, und der Text erfuhr dadurch eine wesentliche Überarbeitung. In den folgenden Jahren arbeiteten sich jedoch auch Lobbyisten am Marco Civil da Internet ab, was fast zu seinem Scheitern führte.

Ein Streitpunkt war insbesondere die Netzneutralität, die das finale Gesetz festschreibt. Es entlastet gleichzeitig die Internet Service Provider, die nicht mehr für Inhalte verantwortlich gemacht werden können, die von ihren Nutzern veröffentlicht werden. Entfallen ist dagegen die obligatorische Datenspeicherung in Brasilien, die auch für Anbieter wie Facebook und Google gelten sollte. An ihre Stelle trat eine Verpflichtung für alle Unternehmen, die von Brasilianern generierte Daten speichern und verwalten, sich an brasilianische Datenschutzgesetze zu halten – unabhängig davon, wo sich die Rechenzentren und die Daten selbst befinden.

Das Gesetz gibt weiterhin Grundsätze und Rechte vor zu Meinungsfreiheit und Interoperabilität, der Nutzung offener Standards und Technologien, dem Schutz persönlicher Daten, der Zugänglichkeit, einer Internetverwaltung durch verschiedene Akteure sowie offenen Regierungsdaten. WWW-Erfinder Sir Tim Berners Lee lobte den Entwurf für Regeln, die „die Rechte und Verantwortlichkeiten von Einzelpersonen, Regierungen und Firmen, die das Internet nutzen, ausbalancieren.“

In Indien haben indessen etliche frühere Partner von Internet.org dem Facebook-Projekt den Rücken gekehrt. Sie sehen in nicht auf Volumenkontingente angerechneten, von Facebook ausgewählten Diensten eine Bedrohung für die Netzneutralität. Das trifft auch Airtel Zero – ein vergleichbares (aber nicht als „Grundversorgung“ beworbenes) Angebot des größten indischen Mobilfunknetzbetreibers.

[mit Material von Angelica Mari, ZDNet.com]

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Florian Kalenda

Seit dem Palm Vx mit Klapp-Tastatur war Florian mit keinem elektronischen Gerät mehr vollkommen zufrieden. Er nutzt derzeit privat Android, Blackberry, iOS, Ubuntu und Windows 7. Die Themen Internetpolitik und China interessieren ihn besonders.

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