Britisches Unterhaus stimmt für Überwachungsgesetz

Das Unterhaus des britischen Parlaments hat mit großer Mehrheit für das umstrittene Überwachungsgesetz Investigatory Powers Bill gestimmt. Das Gesetz räumt den Geheimdiensten zusätzliche Befugnisse ein und legitimiert bislang schon praktizierte Spähprogramme der Sicherheitsbehörden. Gegen das Gesetz stimmten die Grünen und die Scottish National Party. Die oppositionelle Labour Party, die sich bei einer vorhergehenden Abstimmung noch enthalten hatte, stimmte jetzt nach einigen Konzessionen der konservativen Innenministerin Theresa May ebenfalls dafür.

Das von Kritikern als „Schüffelcharta“ bezeichnete Gesetz schreibt Telekommunikationsfirmen und Internet Service Providern vor, die Kommunikationsdaten aller Teilnehmer zu speichern. Das schließt Telefonate, Texte, E-Mails und die gesamte Internet-Surf-Historie für ein Jahr ein. Mehrere Dutzend Behörden sollen diese Daten einsehen dürfen.

Zu den Konzessionen, mit denen die Labour Party zur Zustimmung bewogen wurde, gehört eine „umfassende Privatsphäre-Klausel“. Diese sieht vor, dass bestimmte Überwachungsmaßnahmen dann nicht genehmigt werden sollen, wenn auch andere und weniger invasive Mittel zur Verfügung stehen. Außerdem soll das „vorrangige öffentliche Interesse“ Berücksichtigung finden, bevor Kommunikationsdaten genutzt werden, um Informanten eines Journalisten zu identifizieren. Die Nutzung medizinischer Aufzeichnungen soll zudem nur „in ungewöhnlichen und zwingenden Fällen“ zulässig sein.

Beruhigt hat die Oppositionspartei auch die Zusage der Regierung, auf die Überwachung legitimer Aktivitäten von Gewerkschaften zu verzichten. Außerdem soll sich ein unabhängiger Rechtsprüfer mit den prozeduralen Voraussetzungen für die flächendeckende Sammlung persönlicher Informationen beschäftigen, die den Sicherheitsbehörden zufolge noch immer für unerlässlich sind. Seine Prüfung soll abgeschlossen sein, bevor sich das House of Lords, das Oberhaus des britischen Parlaments, mit dem Gesetz befasst. Das Oberhaus ist allerdings mit weniger Befugnissen ausgestattet und kann das Inkrafttreten von Gesetzen teilweise zwar für zwölf Monate verzögern, sie jedoch nicht gänzlich verhindern.

„Dieses Gesetz würde ein detailliertes Profil von uns allen schaffen, das Hunderten von Organisationen zugänglich gemacht werden könnte, um es in spekulativer Weise zu durchsuchen und zu analysieren“, kommentierte Bella Sankey von der britischen Bürgerrechtsorganisation Liberty gegenüber dem Guardian. „Es wäre das absolute Ende der Privatsphäre online, aber zugleich würde es unsere persönliche Sicherheit gefährden und die Ermittlungsbehörden mit Massen nutzloser Daten überschwemmen.“

Die Geheimdienste Großbritanniens hatten schon im Jahr 2010 Bedenken, von Daten derartig überflutet zu werden, dass wichtige Informationen übersehen werden. Das geht aus einem jetzt veröffentlichten Dokument aus dem Fundus von Whistleblower Edward Snowden hervor. Aus der Datenfülle entstehe das Risiko eines „Informationsausfalls“, argumentierte der Geheimdienst MI5 – dass man also nicht in der Lage sei, lebensrettende Informationen aus Daten zu entnehmen, die er zuvor gesammelt hat.

The Intercept verweist dazu konkret auf einen Fall, der sich drei Jahre später ereignete und die Befürchtungen des MI5 bestätigte. Damals töteten zwei islamische Extremisten einen britischen Soldaten in London. Sie waren zuvor vom MI5 erfasst worden, der Geheimdienst wertete aber etwa Telefongespräche nicht rechtzeitig aus, die eine Verbindung zu Al-Qaida belegten. Auch hatten die Attentäter ihre Absicht, einen Soldaten zu ermorden, vorher online diskutiert.

ZDNet.de Redaktion

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