ARD: Die geheime Macht von Google

Gleich zu Anfang der ARD-Reportage präsentiert Autor Ulrich Stein eine Aussage von US-Rechtsanwalt Gary Reback, die neugierig macht: „Google besitzt eine Form von Macht, wie sie noch nicht einmal extremste Formen von Staatsmacht je hatten“. Um es vorwegzunehmen: Leider wird diese Macht in der Reportage nicht näher erläutert. Wie auch? Wenn man sich die Ausprägungen „extremster Formen von Staatsmacht“ der letzten Jahrzehnte betrachtet, kommt einem wahrscheinlich kaum Google in den Sinn. Insofern ist dieses Zitat lediglich verharmlosend und allenfalls geeignet, Opfer von „extremsten Formen von Staatsmacht“ zu brüskieren.

Autor Stein beleuchtet aber noch weitere Aspekte: „Wie neutral sortiert der Konzern seine Suchergebnisse wirklich? Und wieviele persönliche Daten sammelt er, ohne dass wir Nutzer das wissen?“ Ob Google seine Marktmacht missbraucht, wird von der EU gerade untersucht. Und dass der Internet-Gigant immer mehr Daten sammelt, um zielgenauer Werbung auszuliefern ist sein Geschäftsmodell. Beides ist jedenfalls nicht geheim. Auch wenn sich beim Blick auf das Dashboard die im Film gezeigte Lehrerin vom Umfang ihrer von Google gesammelten Daten leicht schockiert zeigt, ist die Fragestellung von Netzaktivist Beckedahl, der das Google Dashboard als Schein-Transparenz abkanzelte und wissen wollte, welche Daten Google abspeichert und mit ihnen macht, die nicht im Dashboard angezeigt werden, interessanter. Leider hat Autor Stein diese Fragestellung nicht weiter vertieft. Unerwähnt blieb auch, dass nahezu jeder professionelle Webseiten-Betreiber Daten über seine Nutzer sammelt, um mit personalisierter Werbung Geld zu verdienen. Das Sammeln von persönlichen Daten ist also kein „Google-Problem“. Auch die ARD hat in ihrem Internetangebot Tracking-Code eingebaut. Wozu eigentlich? Schließlich läuft dort ja keine Werbung.

Die angeblichen Beispiele für den Marktmissbrauch Googles zugunsten eigener Lösungen waren unglücklich gewählt. Einer der beiden „Internet-Manager“ ist nicht, wie es im Film erscheint, David, der gegen Goliath kämpft, sondern arbeitet für den Axel-Springer-Konzern. Eben diese Firma leistet sich gerade eine Auseinandersetzung mit Google wegen des unsäglichen Leistungsschutzrechts. Das hätte Autor Stein erwähnen sollen, wenn nicht müssen. Auch war das gezeigte Such-Beispiel nach „Pink High Heels“ nicht unbedingt dazu angetan, Google ein Fehlverhalten nachzuweisen. Die Suche lieferte als erste Ergebnisse Links zu eBay. Immerhin befand sich auf der rechten Seite das Shopping-Angebot von Google an erster Stelle und darunter die der Mitbewerber. Hier hätte Autor Stein ruhig nachhaken können. Das zweite Beispiel betraf den Karten-Dienst „Hot Maps“. Wer sich das Angebot näher ansieht, wird wahrscheinlich sofort den Grund erkennen, warum Google diesen nicht höher in den Ergebnislisten führt. Angesichts dieser Beispiele bleibt die Frage offen, welcher Nutzen für Konsumenten bestehen soll, wenn fragwürdige durch SEO-Maßnahmen optimierte Angebote vor den eigentlich relevanten in der Suchergebnisliste landen. Und dass in der Reportage, wie Netzaktivist Beckedahl bemerkt, die von Microsoft seit Jahren finanzierte und von Burson-Marsteller betreute Lobbygruppe ICOMP erfolgreich zwei Protagonisten platzieren kann, um die es sich dann letztendlich die meiste Zeit drehte, ist der größte Kritikpunkt an der ARD-Dokumentation.

Auch die anderen als Kritiker ins Feld geführten Personen werden wohl nicht verhindern, dass Millionen Menschen – bei Google Maps sind es eine Milliarde pro Monat – weiterhin die Dienste des Internet-Giganten nutzen. Harvard-Professor Ben Edelman gab zu bedenken, dass Kosten für eine Produktanzeige in der Suchergebnisliste im Preis des Produkts enthalten sei. Nichts sei umsonst. „Willkommen in der Welt der Werbung“, kann man da nur sagen oder hat da einer gerade Neuland entdeckt?

Neben diesen Allgemeinplätzen hat die Reportage aber auch Stärken. Besonders interessant sind die Einblicke die Google-Mitarbeiter von ihrer Arbeit geben. Und auch die Beschreibung des Startup-Phänomens Silicon Valley, das sich vor allem von Abgängern der Stanford-Universität speist und inzwischen über 40.000 Firmen mit mehr als 5,4 Millionen Arbeitsplätze hervorgebracht hat, gehört zu den starken Momenten des Films.

Insgesamt hat die ARD mit „Die geheime Macht von Google“ eine Chance vertan. Statt Lobbyisten der Konkurrenz so viel Platz einzuräumen, hätte sie eine gesellschaftliche Debatte initiieren können, die das Thema kostenlose Dienste im Internet, mit dem Sammeln von persönlichen Daten und Werbeinnahmen kombiniert. Mögliche Fragestellungen hätten lauten können: Möchten Sie lieber die im Internet bereitgestellten Dienste mit Geld oder ihren persönlichen Daten bezahlen? Bevorzugen Sie personalisierte Werbung oder schauen Sie sich als Mann/Frau gerne Werbung für Damenbinden/Prostatapillen an? Und an die ARD könnte man die Frage stellen, warum sie Google kritisiert und anschließend diese Kritik beim Google-Dienst YouTube verfügbar macht? Ist am Ende doch alles gar nicht so schlimm?

Kai Schmerer

Kai ist seit 2000 Mitglied der ZDNet-Redaktion, wo er zunächst den Bereich TechExpert leitete und 2005 zum Stellvertretenden Chefredakteur befördert wurde. Als Chefredakteur von ZDNet.de ist er seit 2008 tätig.

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