Im Zuge des rasanten Vermarktungstempos rücken die Social Communities verstärkt ins Visier. Treten sie doch immer öfter als bezahlter Vermittler auf, indem sie für die naive Nutzergemeinde unauffällig die richtigen Fährten zu den Produkten von Drittanbietern legen. Denn allein mit dem freien und ungehinderten Meinungsaustausch lässt sich bekanntlich nicht so richtig Kasse machen.

„Durch unlautere Geschäftspraktiken wird der Verbraucher abgezockt und der Wettbewerb verzerrt“, sagt EU-Verbraucherschutzkommissarin Meglena Kuneva. Allerdings ist die von der EU vor Weihnachten verabschiedete Richtlinie noch nicht von allen EU-Mitgliedstaaten umgesetzt. Gegen die säumigen Länder, darunter auch Deutschland, hat die EU-Kommission bereits ein Verfahren eingeleitet.

Wie gängige Shopping-Plattformen korrigieren aber auch die Betreiber der sozialen Netzwerke häufig nur auf ausdauernden Druck der Nutzer ihr Geschäftsgebaren. Kurz vor Weihnachten ruderte etwa die studentische Community Studi-VZ zurück. Aufgrund anhaltender Kritik teilte das Unternehmen seinen Mitgliedern lapidar mit, es rücke vom ursprünglich vorgesehenen Plan neuer Werbeangebote per SMS und Instant Messenger ab.

Auch Professor Hendrik Speck von der Fachhochschule Kaiserslautern hat bereits einschlägige Erfahrungen mit der deutschen Gründlichkeit in der Durchleuchtung sozialer Interessen gemacht. Seine Studenten beschäftigen sich zu Forschungszwecken mit der Visualisierung und Analyse sozialer Netzwerke. „Innerhalb dieser Forschungsarbeiten stießen unsere Studenten trotz freundlicher Anfragen und transparenter Programmmethoden, insbesondere bei einzelnen deutschen Netzwerken, auf massiven Widerstand, bis hin zu Drohungen“, so Speck.

Hintergrund der steigenden Nervosität in der Szene sind die verstärkten Bestrebungen der Betreiber, nun endlich Kasse mit dem angehäuften sozialen Kapital zu machen. Nach entbehrungsreichen Jahren, in denen man die Nutzer quasi frei und zwanglos gewähren ließ, sollen sich die getätigten Investitionen jetzt rechnen. Die Übernahmefantasien von Konzernen heizen den Markt zusätzlich an.

Auch die Business-Plattform Xing zeigt einen ersten Eindruck der individuell maßgeschneiderten neuen Werbewelt. Noch sind die Werbebanner meist unauffällig in der Ecke platziert. Der freiwillig oder unfreiwillig mit allerlei Botschaften torpedierte Internetsurfer ist jedoch nur die eine Seite der Medaille.

Noch gravierender ist der mögliche Datenmissbrauch, der mit der völligen Nutzertransparenz beziehungsweise Datenweitergabe einhergehen könnte. Die Community selbst verfügt nämlich über keinerlei Kontrollmechanismen, obwohl sie mit ihren Beiträgen den Plattformen das Leben erst eingehaucht hat.

Bei den Betreibern dürfte auch künftig kaum eine größere Dankbarkeit für die vielen wertvollen Beiträge aufkommen. „Verschärft wird dieser Konflikt durch die zunehmende Begünstigung kommerzieller Interessen und Verwerterverbände, die es zumindest laut den vorliegenden allgemeinen Geschäftsbedingungen verbieten, dass Nutzer die informationelle Selbstkontrolle über ihre zur Verfügung gestellten Daten ausüben können“, sagt Speck.

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ZDNet.de Redaktion

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