Auf der Suche nach dem Schurken in der Flatrate-Misere

KOMMENTAR – Es war wie im Märchen: Nach den langjährigen Forderungen von Verbrauchern und Verbänden nach Flatrates schien es vergangenen Sommer so, als könnte Deutschland den Sprung von der Internet-Steinzeit ins Bronzezeitalter schaffen. Verschiedene Anbieter, Wettbewerb, bezahlbare Bandbreite – alles schien möglich. Computer-Enthusiasten und Internet-Bewohner atmeten auf und fürchteten die Telefonrechnung nicht mehr. War ein Anbieter schlecht – egal, man hatte seinerzeit die Wahl und ging einfach zur Konkurrenz.

Das ist heute nicht mehr so einfach möglich. Die Situation ist bekannt: Wer nicht in DSL-Gebieten wohnt, hat bestenfalls die Wahl zwischen einem lokalen Anbieter und AOL. Doch auch die Flatrate-Kunden von AOL scheinen nicht alle glücklich zu sein, berichten teilweise von Einwahlproblemen und Mini-Bandbreite. Vereinzelt gibt es Berichte von zufriedenen Flatrate-Kunden aus Ballungsgebieten mit regionalen Telkos, doch die erscheinen eher wie Sagen über das kleine gallische Dorf inmitten des römischen Reiches.

Wer hat aber recht im ganzen Flatrate-Streit? Die Telekom, die behauptet, die analogen Leitungen seien nie für diesen umfangreichen Datenverkehr ausgelegt worden und DSL sei das einzig Wahre? Die Konkurrenz, die dem Ex-Monopolisten unlautere Absichten bishin zum Sturz des früheren Ober-Regulierers Klaus-Dieter Scheurle vorwirft? Das Problem ist: Die Sache ist zu vielschichtig, als dass es einfache, kurzfristig durchsetzbare Lösungen geben könnte, die auch noch praktikabel wären.

Die Telkos selbst befinden sich gerade im Überlebenskampf und wer am Ertrinken ist, verschwendet keinen Blick auf das Schiff, das vor seinen Augen untergeht. Der Regulierer rackert nach Kräften, kämpft aber an zu vielen Fronten und verfügt auch nicht um die Mittel, um „Internet für alle für `n Fuffi im Monat“ durchsetzen zu können. Was bleibt? Der in Krisenzeiten beliebte Ruf nach dem Staat. Gerne auch praktiziert als „Die da oben haben eh keine Ahnung“. In diesem Fall aber wohl nicht so weit hergeholt.

Niemand verlangt hier, dass ABM-Kräfte Gräben für Glasfaserkabel und DSL-Leitungen ausheben sollen. Doch scheint an den höchsten Stellen in Berlin die Meinung vorzuherrschen: „Solange die Autoindustrie exportiert, ist alles in Butter“. Kurzauftritte bei CeBIT, Systems und Firmeneröffnungen der IT-Branche sind opportun und kosten nicht mehr als ein paar warme Worte. Flatrate-Fanatiker gelten als asoziale Freaks, die sich Pornos, illegal kopierte MP3s und „ich-will-gar-nicht-wissen-was“ aus dem Internet laden und ihrem Privatvergnügen frönen.

Doch auch wenn jetzt die Börsenkurse im Keller sind und Intel seinen Mitarbeitern die Dienstreisen streicht: IT rules. Und wenn wir nicht in ein paar Jahren unsere Green-cards in Bangalore beantragen wollen, sollten wir vielleicht zusehen, die Flatrate-Misere schnell geregelt zu bekommen. Stehen im Wirtschafts-Ministerium keine runden Tische? Benutzt man dort nicht E-Mail, um die Chefs der Telkos zu Gesprächen einzuladen? Offensichtlich scheint es nur mit massivem politischen Druck möglich zu sein, die Telekom dazu zu bewegen, ihre Verzögerungstaktik in Sachen Großhandelsflatrate aufzugeben, die künstlichen technischen Barrieren abzubauen und mit offenen Karten zu spielen. Für 500.000 Flatrate-Kunden und hunderttausende weitere Wähler und Internet-Nutzer ist es unverständlich, warum der Ex-Monopolist zu keinem Kompromiss mit der Konkurrenz kommt und sich statt dessen wie ein schmollendes Kind benimmt, das seine Schokolade mit niemandem teilen will, während diese langsam in seiner Hand zu einer ungenießbaren Pampe schmilzt.

ZDNet.de Redaktion

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