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Tim Berners-Lee: Wir brauchen jetzt ein Netzneutralitätsgesetz

Der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, hat in einem Gastbeitrag auf der Website der EU-Kommission eine gesetzliche Regelung der Netzneutralität gefordert – also eine Gleichbehandlung aller Internet-Inhalte ungeachtet ihres Inhalts oder ihrer Herkunft. „Bürger und Unternehmen in der EU benötigern Netzneutralität jetzt – bevor Online-Diskriminierung zur Norm wird“, schreibt er im Fazit.

Tim Berners-Lee (Bild: Paul Clarke, Creative Commons 4.0)

Berners-Lee zitiert in seinem Blogbeitrag eine Reihe von Studien, darunter den Web Index 2014, dem zufolge 74 Prozent von 86 untersuchten Ländern „klare, effiziente Regeln zur Netzneutralität vermissen lassen und/oder nach Preis unterscheiden“. In 95 Prozent aller Länder ohne Netzneutralitätsregeln gibt es Hinweise, dass Web-Inhalte ungleich behandelt werden.

Eine zweite zitierte Studie hatte die niederländische Regierung 2013 in Auftrag gegeben. Sie kam zu dem Schluss, dass Netzneutralität zu mehr Wettbewerb, niedrigeren Preisen, besserer Anbindung und mehr Innovation führe – wovon Endanwender ebenso wie Firmen profitieren. Bisher sei das Netz ohne eine gesetzliche Definition von Netzneutralität ausgekommen, mit seinem Wachstum sei jetzt aber Bedarf für ein Gesetz.

„Wenn wir wollen, dass das Internet weiter als Wachstumsmotor dient, und vielleicht noch stärker als bisher, müssen wir sicherstellen, dass die Zugangsprovider nicht in der Lage sind, legale Inhalte und Dienste für Nutzer zu blockieren, zu verlangsamen oder sonst zu beschränken, egal ob aus wirtschaftlichen oder politischen Motiven“, schreibt Berners-Lee.

Auch gegen „positiver Diskriminierung“ spricht sich der Gastautor der EU aus, also bevorzugte Behandlung bestimmter Dienste. Diese Praxis gebe Telekommunikationsfirmen und Online-Dienstleistern zu viel Macht, erklärte er. „Das würde Wettbewerb verhindern und innovative neue Dienste stoppen, noch bevor sie überhaupt bekannt werden können. Stellen sie sich vor, wie es wäre, wenn ein Start-up erst einen Wettbewerber um eine Genehmigung bitten oder ihm eine Gebühr zahlen müsste, bevor es Kunden anlocken kann? Das Klingt stark nach Bestechung oder Marktmissbrauch – ist aber genau die Art Szenario, die uns ein Abschied von der Netzneutralität brächte.“

Die Europäische Union erwägt derzeit nach langem Hin und Her, Netzneutralität als Teil der Regeln für den einheitlichen europäischen Telekommunikationsmarkt festzuschreiben. Das EU-Parlament steht dem positiv gegenüber, der Ministerrat hat noch keine Position bezogen.

In den USA steht am 26. Februar eine Abstimmung der Federal Communications Commission über neue Regeln zur Netzneutralität an. Sie sehen vor, Kommunikationsnetze wie andere Versorgungsnetze (Wasser, Strom) zu behandeln und entsprechend zu regulieren.

Manche Zugangsprovider wie die Deutsche Telekom halten eine Priorisierung von Diensten für unvermeidbar – sei es wegen besonderer Dringlichkeit, sei es wegen ihres großen Volumenverbrauchs. Die Telekom könne nicht akzeptieren, Milliarden in den Ausbau des Netzes zu stecken, ohne neue Umsatzquellen zu erschließen, sagte ihr damaliger Vorstand René Obermann schon im Jahr 2010.

Einen Kompromiss beider Perspektiven hat das Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagen: Spezialdienste dürften nur „bei ausreichenden Netzkapazitäten erbracht werden“, heißt es in seinem Vorschlag, der in die europäischen Verhandlungen eingebracht werden soll, um die geplante Regelung auf EU-Ebene zu verankern. Er fällt allerdings unter das, was Berners-Lee positive Diskriminierung nennt.

[mit Material von Lance Whitney, News.com]

Florian Kalenda

Seit dem Palm Vx mit Klapp-Tastatur war Florian mit keinem elektronischen Gerät mehr vollkommen zufrieden. Er nutzt derzeit privat Android, Blackberry, iOS, Ubuntu und Windows 7. Die Themen Internetpolitik und China interessieren ihn besonders.

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