Diskussion über Vorratsdatenspeicherung nach Terror in Frankreich neu entfacht

Nach der Ermordung von 17 Menschen durch Terroristen in Paris haben Unionspolitiker einen neuen Versuch angeregt, eine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland einzuführen. Bei Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), Bürgerrechtlern und liberalen Netzpolitikern stoßen die Vorschläge jedoch auf Ablehnung.

Prominenteste Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung sind CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl sowie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Der Minister erklärte am Wochenende in einem Interview mit der Bild am Sonntag, er habe die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und die europaweite Erfassung von Fluggastdaten bereits vor den jüngsten Ereignissen in Frankreich für erforderlich gehalten und sehe das auch jetzt noch so.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (Bild: BPA/Jesco Denzel)

Ute Elisabeth Gabelmann vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung kontert heute in einer Pressemitteilung: „Die zwölfmonatige Vorratsdatenspeicherung in Frankreich hat weder das Attentat verhindert, noch maßgeblich zur Ergreifung der Täter geführt. Vielmehr half der im Fluchtwagen vergessene Ausweis eines Attentäters, die Polizei auf die Spur der Täter zu führen.“

Auch Rechtsanwalt Meinhard Starostik vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung betont: „Die in Frankreich existierende und besonders scharfe Vorratsdatenspeicherung hat keinerlei Beitrag zur Verhinderung des Attentats geleistet.“ Seiner Ansicht nach ist die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung „ohnehin nur Politikklamauk: es wird eine Sau durch das Dorf getrieben und die Parteien versuchen, dadurch ihr Profil zu schärfen“.

Laut Starostik ist der Pool der erhobenen und gespeicherten Daten über das Kommunikationsverhalten der Bürger bereits groß genug. Die Sicherheitsbehörden hätten gelernt, darauf zuzugreifen und sie auszuwerten. Der Ruf nach der Vorratsdatenspeicherung diene daher eher der Verschleierung der schon vorhandenen Überwachungsmöglichkeiten.

Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis mahnt daher: „Die Wiederholung überzogener Forderungen nach grundrechtsbeschränkender Überwachung spielt den Terroristen letzten Endes in die Hände. Man sollte Ereignisse wie die der letzten Tage nicht missbrauchen, um Einschnitte in die Freiheitsrechte durchzusetzen.“ Er gibt zu bedenken, dass sowohl die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (PDF) als auch das deutsche Gesetz von den zuständigen höchsten Gerichten für ungültig erklärt wurden, da sie gegen Grundrechte verstießen.

Bundesjustizminister Heiko Maas (Bild: Frank Nürnberger/BMJV)

Bundesjustizminister Maas hatte bereits in einer ersten Stellungnahme mitgeteilt: „Purer Aktionismus stoppt keine Terroristen. Wir brauchen jetzt keinen Wettlauf um neue Gesetze.“ Er setzt dagegen auf konsequente Anwendung des bestehenden Rechts sowie noch mehr Aufklärung und Dialog. In einem Interview mit der Bild-Zeitung ergänzt der Minister: „Wir sind uns alle einig: Wir sind verpflichtet, unser Land so sicher zu machen wie möglich, aber eine absolute Sicherheit wird es niemals geben. Daran würde auch eine Totalüberwachung von uns allen ohne jeden Anlass nichts ändern.“

Zudem weist auch Maas darauf hin, das es die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich gibt und sie den Anschlag in Paris nicht verhindern konnte. „Eine solche Speicherung verstößt gegen die Grundrechte. Das hat der Europäische Gerichtshof eindeutig festgestellt. Also was soll das, die furchtbaren Anschläge in Paris zu nutzen, um eine alte Diskussion wieder anzuzetteln?“, so Maas weiter.

Die Beratungen der EU-Innenminister für weitere Überwachungsmaßnahmen in der Europäischen Union – unter anderem eines EU-Abkommens zur anlasslosen Fluggastdatenspeicherung stellt der Verein für liberale Netzpolitik LOAD e.V. in den Mittelpunkt seiner Kritik: „In Frankreich gibt es eine 12-monatige Vorratsdatenspeicherung für Telekommunikationsdaten. Durch sie konnte der Anschlag nicht verhindert werden. Die Geheimdienste Europas und der USA überwachen beinahe unsere gesamte Kommunikation im digitalen Raum. Auch sie konnten den Anschlag nicht verhindern.“ Es sei daher „schon fast perfide“, dass Bundesinnenminister Thomas de Mazière die Ereignisse in Paris als Begründung für die Einführung der Fluggastdatenspeicherung (PNR – Passenger Name Record) in der EU instrumentalisiere.

„Der Anschlag auf Charlie Hebdo war ein Anschlag auf unsere Freiheit. Wir können die Freiheit nicht verteidigen, wenn wir sie aufgeben. Gerade jetzt müssen wir uns ohne Wenn und Aber zu den Menschen- und Freiheitsrechten bekennen. Die Verabschiedung der Fluggastdatenspeicherung in der EU wäre ein fatales Signal in die entgegengesetzte Richtung“, erklärt Jimmy Schulz (FDP), Vorsitzender des Vereins für liberale Netzpolitik LOAD e.V., in einer Pressemitteilung. Der Plan der EU-Kommission, bis zu 60 Einzeldaten jedes Passagiers eines innereuropäischen Fluges für 15 Jahre zu speichern und auszuwerten, sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der EU-Bürger. Schulz weiter: „Besonders pikant ist der Vorstoß, weil der Europäische Gerichtshof derzeit über das Abkommen zum automatisierten Austausch der Fluggastdaten zwischen der EU und Kanada verhandelt. Ich bin mir sicher, dass diese Datenweitergabe gegen die EU-Grundrechtecharta, also das Recht auf den Schutz der personenbezogenen Daten, verstößt.“ Er fordert die Innenminister auf, das Urteil des EuGH zu dieser Frage abzuwarten und alle Abkommen dieser Art auf den Prüfstand zu stellen.

[mit Material von Peter Marwan, ITespresso.de]

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ZDNet.de Redaktion

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