Amazon bezeichnet Druck auf Verlage als „legitime Verhandlungstaktik“

Amazon hat erstmals zu den Verhandlungen mit Hachette Stellung genommen. Sie wurden durch verzögerte Lieferungen und eine geringere Präsenz der Bücher dieser Verlagsgruppe in der Website des Onlinehändlers öffentlich – und führten zu lautstarken Vorwürfen, dass Amazon seine Marktmacht missbrauche.

Amazon-CEO Jeff Bezos (Bild: CNET)

Im Kindle-Forum räumte Amazon ein, dass es Hachette-Titel weniger bevorratet als üblich und auch keine Vorbestellungen von noch nicht erschienenen Titeln mehr annimmt. Nicht vorrätige Titel der Hachette-Verlage könnten die Kunden weiterhin bestellen – erst daraufhin gehe die Bestellung an den Verlag, und nach Eintreffen der Bücher liefere Amazon sie prompt aus. „Diese Veränderungen stehen im Zusammenhang mit Vertrags- und Konditionsverhandlungen zwischen Hachette und Amazon“, heißt es zurückhaltend. Unerwähnt bleibt, dass die Bücher von Hachette mit geringeren Nachlässen angeboten werden, was ihrem Abverkauf zusätzlich schaden dürfte.

Amazon weist auf seine Gechäftsbeziehungen mit über 70.000 Lieferanten hin, darunter tausenden Verlegern. „Einer unserer wichtigen Lieferanten ist Hachette, das Teil eines 10-Milliarden-Dollar-Medienkonglomerats ist. Unglücklicherweise haben wir trotz beiderseitiger großer Anstrengungen keine für beide Seiten annehmbare Vereinbarung über die Bedingungen erzielen können.“ Mit einer baldigen Einigung ist laut Amazon nicht zu rechnen: „Wir sind nicht optimistisch, dass das schon bald zu klären ist.“

Es gehöre zu den wesentlichen Aufgaben eines Buchhändlers wie jedes Einzelhändlers, annehmbare Bedingungen auszuhandeln. Der Anbieter könne entscheiden, zu welchen Preisen er liefern möchte – und umgekehrt habe der Händler das Recht, Produkte entsprechend in sein Angebot aufzunehmen und herauszustellen. „Wenn wir mit Lieferanten verhandeln, dann tun wir das im Interesse unserer Kunden“, versichert der Onlinehändler. „Akzeptable Bedingungen auszuhandeln, ist eine unverzichtbare geschäftliche Praxis, um mittel- und langfristig Service und Nutzen für die Kunden zu sichern.“

Amazon entging auch nicht die schlechte Presse, die ihm seine sichtbaren harten Verhandlungstaktiken einbrachten. Es habe vermutlich deshalb eine breite Berichterstattung gegeben, weil es um Verhandlungen mit einem Buchverleger und nicht mit dem Lieferanten einer anderen Produktkategorie ging. Als Gegenbeispiel verwies der Onlinehändler auf den Blogeintrag des literarischen Verlegers Martin Shepard. Aus dessen Sicht ist Amazon „das absolut Beste, was sich ein kleiner unabhängiger Verlag wünschen könnte“. Shepards Verlag The Permanent Press verlegt seit 35 Jahren literarische Titel und bekam bei den dominierenden Buchladenketten praktisch nie einen Fuß in die Tür, während die Buchgrossisten von ihm höhere Rabatte abforderten als von den Verlagskonzernen. Amazon hingegen spricht er vier Sterne dafür zu, effizient zu arbeiten und für alle einen fairen Marktzugang zu bieten.

Verhandlungspartner Hachette hielt sich bislang öffentlich zurück. Umso lautstärker entfachten seine Autoren eine öffentliche Debatte. Bestsellerautor James Patterson, der im letzten Jahr geschätzte 80 Millionen Dollar verdiente, sprach von der Auseinandersetzung zwischen Amazon und Hachette als „einem Krieg“. Mit Dennis Johnson mischte sich der Gründer der Verlagsgruppe Melvin House in die Debatte ein: „Ist das vielleicht etwas anderes als Erpressung? Sie wissen schon, diese Sache, die illegal ist, wenn es die Mafia macht.“ Das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen unterstellte Amazon nicht nur Erpressung, sondern auch noch, einen „Rowling-Krimi als prominente Geisel genommen“ zu haben. Vielfach war auch von einem „Monopol“ die Rede, obwohl Amazon selbst im Buchmarkt der USA nur über einen Anteil von etwa einem Drittel verfügt.

Der irische Autor David Gaughran, der seine Bücher selbst verlegt, vermutet eine inszenierte PR-Kampagne der führenden Verlagskonzerne. In einem Blogeintrag erinnert er daran, dass die fünf größten Verlagsgruppen in den USA in Medienkonzerne wie News Corp eingebunden sind. Tatsächlich ist auch Hachette alles andere als ein Leichtgewicht. Es agiert nicht nur als der viertgrößte Buchverlag in den USA, sondern gehört zum französischen Medienkonzern Lagardère, der für 2013 einen Nettoumsatz von über 7 Milliarden Euro auswies. Lagardère ist der größte französische Buchverleger, der zweitgrößte in Großbritannien sowie der weltweit zweitgrößte Publikumsverlag – und außerdem noch im Geschäft mit Zeitschriften, Radio und Fernsehen.

Bei der Konfrontation zwischen Amazon und Hachette geht es offenbar vor allem um E-Book-Konditionen. Ähnliche Verhandlungen führt der Onlinehändler mit dem schwedischen Verlagskonzern Bonnier, dem die deutschen Verlage Carlsen, Piper, Berlin und Ullstein gehören. Wie einer dieser Verlage durchsickern ließ, geben sie auf E-Books bislang 30 Prozent Rabatt – Amazon aber strebe mehr an.

[mit Material von Steven Musil, News.com]

ZDNet.de Redaktion

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