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Schule, Computer und Web: zwischen YouTube und Whiteboard

Braucht man einen Computer, um Rechnen zu lernen? Ist das Web erforderlich, um Lesen und Schreiben zu lernen? Vermutlich nicht. Lernen kann man auch ohne Computer. Tatsächlich wurde schon vor Jahren festgestellt, dass der Computereinsatz an Schulen die Kinder nicht klüger gemacht hatte. Haben also jene Pädagogen Recht, die sich von einem verstärkten IT-Einsatz in Schulen nicht viel versprechen?

Leider hat die Sache mit der Bildung nicht nur eine, sondern gleich zwei andere Seiten. Da sind zum einen die Kinder und Jugendlichen selbst. Sie leben heute in einer von IT durchdrungenen Welt, und sie nutzen deren technische Möglichkeiten, wo immer sie Gelegenheit dazu haben. Es sind ja längst nicht mehr nur die berühmt-berüchtigten Computerspiele, mit denen sie sich befassen. Wenn sie sich mit Musik, Filmen, Mode oder Sport beschäftigen, dann findet das heute zu einem ganz wesentlichen Teil in den einschlägigen Foren oder Chatrooms statt.

Gerade für junge Menschen, die als „Digital Natives“ eine Welt ohne Web nicht mehr kennen, ist das Web Teil der Lebenswirklichkeit. In sozialen Netzwerken wie Facebook, SchülerVZ oder Lokalisten sind sie längst zu Hause, dort und auf Plattformen wie YouTube begegnen sie sich, kommunizieren sie untereinander, organisieren sie ihr gesamtes Leben, also auch Aktivitäten, die mit Computer oder Web gar nichts zu tun haben. Wer heute Abitur macht, arbeitet häufig schon an seinem dritten oder vierten Computer.

Wie aber muss Kindern und Jugendlichen eine Schule erscheinen, für die Computer und Web allenfalls eine periphere Rolle spielen? Was kann ihnen eine Schule geben, in der IT in einem abgesonderten Computer-Raum stattfindet, einmal pro Woche unter Anleitung einer dafür abgestellten Lehrkraft?


Heiner Bruns ist Leiter Client Solutions Marketing Public EMEA bei Dell in Frankfurt am Main und Autor dieses Gastbeitrags für ZDNet (Bild: Dell).

„Alles, was man pädagogisch erreichen will, erreicht man besser ohne den Computer“, erklärte Hartmut von Hentig, Doyen der deutschen Pädagogik, Anfang der Neunziger Jahre. Nun aber, 20 Jahre später, stellt sich die Frage, wie die Schule Kinder und Jugendliche ohne Computer noch erreichen will. Wenn der Leitsatz, dass man fürs Leben und nicht für die Schule lernt, eine Bedeutung haben soll, dann muss die Schule die Realitäten des Lebens aufgreifen- und das heißt heute nun eben auch, dass sie IT, Computer und Web einen angemessenen Platz einräumen muss. Nicht, weil man grundsätzlich ohne IT nicht auch lernen könnte, sondern weil IT ein Bestandteil jener Realität ist, auf die die Schule vorbereiten will – und weil Lernen ohne Computer und ohne Web in der Konkurrenz mit den Medien um Aufmerksamkeit und Motivation verlieren muss. Man kann nicht einerseits ein generelles Desinteresse der Schüler an der Schule beklagen, wenn man nicht zugleich versucht, sie dort abzuholen, wo sie ihre Interessen angesiedelt haben.

Wenn Schüler vermehrt zu der Auffassung gelangen, dass ihre Schule eigentlich nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit ist, dass ihre Schule verstaubt und altbacken ist und sie die Schule daher nicht mehr ernst nehmen müssen, gefährdet dies auch den Bildungsauftrag dieser Institution. Beide, Schule wie Schüler, verpassen dann etwas ganz Entscheidendes: Dass die Schule nämlich durchaus sehr wichtige Dinge zu vermitteln hat, auch über Zeugnis und Bescheinigungen hinaus.

IT gehört überall selbstverständlich dazu – außer in Schulen

Es ist ja keineswegs so, als gäbe es seitens der Schüler keinen Lernbedarf mehr, gerade auch in Sachen IT. Wer etwa in Computerspielen fit und regelmäßig bei Lokalisten oder Facebook aktiv ist, der hat noch lange kein IT-Know-how. Er verfügt allenfalls über gute Einstiegsvoraussetzungen, weil er in der Lage ist, eine Maus unfallfrei auf Kurs zu halten. Die jüngsten Diskussionen über eine allzu sorglose Nutzung Sozialer Netzwerke durch Kinder und Jugendliche, die dort ganz unbekümmert auch privateste Inhalte posten, zeigt, wie dringend erforderlich beispielsweise der Erwerb von Medienkompetenz für das Web ist.

Jedoch geht es gar nicht nur um IT-Know-how an sich. Computer und Web müssen generell besser in die Schule integriert werden. Der klassische „Informatik-Unterricht“, die Vermittlung von IT-Fertigkeiten, die je nach Schultyp von Excel bis Java reichen, ist insofern ein Konzept aus der Frühphase der IT. Dieser Unterricht ist unverzichtbar als Vorbereitung auf andere Fächer, zeigt aber immer auch die fehlende Integration der IT in den ganz normalen Unterricht. IT darf nicht auf Dauer das Thema eines Nebenfachs mit bestenfalls zwei oder drei Wochenstunden in einer vom Schulalltag abgesonderten IT-Zone bleiben.


92 Prozent der Teenager in Deutschland haben ein eigenes Handy, 80 Prozent einen MP3-Player und 75 Prozent einen eigenen Computer (Bild: Bitkom).

Heute verfügen zwar fast alle Schulen – rund 20 Jahre nachdem begonnen wurde, Computer an die Schulen zu bringen – über Computersäle, aber von Ausnahmen mit Versuchscharakter abgesehen, spielt IT eben nur dort eine Rolle. Natürlich gibt es engagierte Lehrer, die zum Beispiel web-basierten Geschichts- oder Sprachunterricht anbieten. Aber der Normalfall sieht anders aus. Abgesehen vom Informatik-Unterricht hat laut einer OECD-Studie nur in einer von zehn Schulen in Deutschland jeder Schüler im Unterricht Zugang zu einem Computer, und lediglich bei jedem dritten Schüler wird der Computer mindestens einmal pro Woche im Unterricht eingesetzt. Dagegen wird von 30 Prozent der Computer im Unterricht überhaupt nicht genutzt. Demgegenüber verwenden über 80 Prozent der 15-jährigen zu Hause regelmäßig einen Computer.

Im normalen Schulalltag aber werden die Möglichkeiten der IT-Technologie bei weitem nicht ausgeschöpft. Multimediale Lehrmittel und Lehrmethoden führen an den Schulen noch immer ein Schattendasein. Dazu nur ein Beispiel: Es gibt in Deutschland rund 26.000 Whiteboards – jene weiße Tafeln mit direktem Computeranschluss, die das, was Lehrer oder Schüler auf das Board schreiben oder zeichnen, gleich auf die Notebooks der Schüler übertragen. 26.000 ist sicher eine stolze Zahl, aber in Deutschland gibt es fast 40.000 Schulen. Mit anderen Worten: nicht einmal jede Schule verfügt über wenigstens ein Whiteboard, geschweige denn, dass jedes Klassenzimmer damit ausgestattet ist.

Der Lehrer verliert seine Rolle als Kompetenzzentrum

Bleibt die Frage, ob denn, wenn schon nicht Computer, so wenigstens Whiteboards klüger machen? Ein Frage, die einfach zu beantworten ist: Natürlich nicht. IT ist und bleibt ein Werkzeug. Der Übergang von der Schiefertafel zum Schulheft hat schließlich auch niemanden zum Genie gemacht. Aber sollen die Schüler deshalb wieder mit Kreide schreiben? Selbstverständlich muss die Integration von IT-Technik in den Unterricht mit entsprechenden pädagogischen Konzepten verknüpft werden. Aufstellen und einschalten genügt bei weitem nicht.

Medienkompetenz, um das Beispiel wieder aufzugreifen, vermittelt sich nicht automatisch durch Technik – sonst gäbe es das Problem gar nicht. Aber sie lässt sich auch schlecht ohne Technik vermitteln. Schließlich verändert die Technik auch den Unterricht. IT im Unterricht fördert das selbstständige, eigenverantwortliche Lernen. Dabei verliert der Lehrer seine Rolle als Kompetenzzentrum, er wird stattdessen zu einer Art Moderator, der die Schüler anleitet, eigene Kompetenzen aufzubauen. Wofür er natürlich auch das entsprechende Know-how benötigt. Tatsächlich aber sehen sich Lehrer von neuen Technologien oft überfordert und scheuen dann den Einsatz im Unterricht. Auch hier muss nachgebessert werden, beispielsweise im Rahmen von Serviceleistungen der Hersteller in Form von Schulungen.

Dies führt zur dritten Seite der Schulbildung. Wie in der modernen Welt der Kinder und Jugendlichen, nimmt auch in der Berufswelt IT eine zentrale Position ein. Es gibt ja kaum noch ein Arbeitsplatzprofil, in dem IT keine Rolle spielt, schon gar nicht, wenn es um qualifiziertere Tätigkeiten geht. Sogar die gern zitierte „einfache Verkäuferin“ arbeitet heute mit einem Warenwirtschaftsystem.

Die Unternehmen erwarten daher Berufsanfänger, die zumindest einen unbefangenen, selbstverständlichen Umgang mit der IT pflegen, die sich also der IT-Technologie als Werkzeug bedienen können. So sind sowohl Kinder und Jugendlichen als auch Unternehmen wesentlich mehr mit Computern und Web befasst als die Schule. Ohne IT säße sie zwischen den Stühlen. Auf Dauer ist das keine bequeme Stellung.

AUTOR

Heiner Bruns ...

... ist Leiter Client Solutions Marketing Public EMEA bei Dell in Frankfurt am Main.

ZDNet.de Redaktion

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