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Das Ende eines Megadeals: Time Warner zerstückelt AOL

Vielleicht aber sollte man das Bewkes-Statement, er habe Strategisches mit beiden Geschäftsbereichen vor, auf Basis der deutschen Erfahrungen deuten. Bewkes weiter: Ziel von Time Warner sei es, Qualitätsinhalte zu produzieren und weltweit über möglichst viele Plattformen gewinnbringend zu vertreiben. Für den Online-Vertriebsweg wäre AOL durchaus geeignet, nachdem die holprige Trennung vom Abo- zum Werbe-Geschäftsmodell weitgehend vollzogen wurde.

Zu den Problemen von AOL zählt, dass traditionelles Qualitätsbewusstsein, wie es sich bei AOL lange in redaktionell aufwändig aufbereiteten Inhalten zeigte, zu teuer kommt und junge Leute sowieso nicht erreicht. Leichte Bedienbarkeit, für die Tennisstar Boris Becker einst mit dem Slogan „Bin ich schon drin?“ warb, gilt heute als Selbstverständlichkeit.

Doch knüpft AOL mit dem Kauf des in England erfolgreichen Social-Network-Spezialisten Bebo, einem Betreiben von Blogs (Engadget) und von Sites etwa für Fußballclubs, an eigene Pionierzeiten an. Kaum eine Web-Community war je aktiver als die User der Foren des AOL-Konkurrenten Compuserve, der 1997 aufgekauft wurde. Und hat AOL nicht Instant Messaging erfunden? Die Technik lässt sich hervorragend für (werbeträchtige) Echtzeit-Nachrichten-Dienste nutzen.

Doch selbst, wenn es Bewkes nur darum gehen sollte, den AOL-Klotz loszuwerden, da er nicht einmal mehr zehn Prozent zum Konzernumsatz beisteuert, hat sich das Unternehmen durch die Time-Warner-Übernahme seinen Platz in der Geschichte der Internet-Pioniere gesichert. Dank den irrwitzigen Überwertungen während der Dotcom-Blase reichte ein Aktientausch in (nomineller) Höhe von 184 Millionen Dollar, um den damals größten Merger der Wirtschaftsgeschichte einzuleiten.

Außerdem handelte es sich um eine nicht wiederholbare New-Economy-Premiere: Erstmals kaufte nicht ein großer Old-Economy-Konzern ein Internet-Start-up, sondern umgekehrt, ein vom Umsatz her vergleichsweise kleines Unternehmen einen der größten Medienkonzerne der Welt.

Tatsächlich aber wackelte hier der Schwanz mit dem Hund – oder wie damals der amerikanische Wirtschaftsprofessor Gary Hamel die Verschmelzung von New und Old Economy formulierte: „Die Barbaren sitzen längst im Wohnzimmer.“ Ein Jahr danach platzte die Blase. Kostenlose Dienste und Inhalte im Internet hatten aber schon vorher geschlossene Communities à la Compuserve und AOL zum langsamen Sinkflug verurteilt.

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ZDNet.de Redaktion

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