Deutsche Online-Banken in Nöten

Obwohl die Comdirect Bank ihre Kundenzahl im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt hat, plagt das Unternehmen wie die gesamte Branche der Online-Broker ein großes Problem: Der große Zulauf fand ausschließlich Anfang 2000 statt, in den letzten sechs Monaten kamen kaum noch neue Kunden hinzu. Hauptgrund dafür ist die schlechte Börsenentwicklung.

„Anfang vergangenen Jahres hat jeder über Aktien geredet, jeder musste damit handeln“, sagt Branchenspezialist Ralf Dibbern. Wer im Trend liegen wollte, ging zu den Online-Brokern. Doch dann ging es abwärts an den Märkten. Viele Anleger verbrannten sich die Finger und wurden vorsichtig. Sie setzen nun verstärkt auf Beratung – und damit nicht mehr auf das günstige, aber spartanische Angebot der Online-Broker.

„Der Crash am Neuen Markt hat eindeutig Spuren hinterlassen“, analysiert Ralf Dibbern vom Wertpapierhaus Warburg & Co. Auch Mummert + Partner schlagen Alarm: „Die aktuelle Börsenschwäche verschreckt neue Anleger“, konstatiert die Hamburger Unternehmensberatung. „Die deutschen Discount-Broker stehen unter Zugzwang.“

Belegt werden diese Analysen durch die am Dienstag vorgelegten Zahlen von Comdirect: In Deutschland hatte die Direktbank zum Jahresende 575.000 Kunden und damit rund 300.000 mehr als Ende 1999. Allerdings stieg der Großteil der Neukunden im ersten Halbjahr ein. Von Juli bis Dezember lag der Zuwachs dann nur noch bei rund 30.000. Ähnlich ist die Entwicklung bei Consors. Konnte der Online-Broker beim Abheben des Neuen Marktes im ersten Quartal 2000 über eine Zunahme der Kundenzahl von 87,5 Prozent jubeln, so ging es in den folgenden Monaten konsequent abwärts. Im vierten Quartal lag der Kundenzuwachs nur noch bei fünf Prozent.

Selbst dieser magere Zuwachs ist hart erkauft. Denn um überhaupt noch Kunden anzuziehen, müssen die Direktbanken kräftig werben. Gab Consors einer Warburg-Aufstellung zufolge im ersten Quartal 2000 pro Neukunde rund 220 Mark (112 Euro) an Werbung aus, so waren es im vierten gut 730 Mark (375 Euro). Für diesen stolzen Preis gibt es dann aber nicht einmal mehr den Idealkunden, der täglich unzählige Orders mit großen Volumen vollzieht. Denn diese so genannten „Heavy Trader“ haben längst ihre Stammbank. „Die wirklich attraktive Kundenklientel ist abgeschöpft“, analysiert Dibbern. Jetzt blieben nur noch die Gelegenheits-Aktionäre.

Also müssen sich die Online-Anbieter etwas einfallen lassen. Der einzig gangbare Weg ist nach Ansicht von Mummert + Partner mehr Service. Denn gerade nach den unangenehmen und oft sehr teuren Erfahrungen vieler Privatanleger mit falschen Selbsteinschätzungen wollen diese nun doch wieder Hilfe beim riskanten Spiel. „Der Beratungsbedarf steigt wieder“, meint die Hamburger Unternehmensberatung. „Die Folge: Die Konkurrenz für die Online-Banken durch die traditionellen Banken nimmt zu.“

Konsequenzen aus dieser Entwicklung zog die Advance Bank. Sie bietet seit Juli vergangenen Jahres „Direct-Brokerage mit Beratung“ – und konnte im vierten Quartal entgegen dem allgemeinen Branchentrend mehr Neukunden locken als in den vorangegangenen Monaten. Firmensprecher Timo Scheil führt dies klar auf das Serviceangebot seiner Bank zurück. „Direct-Brokerage mit Beratung liegt jetzt im Trend und bringt uns einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Mittbewerbern.“

Consors dachte bereits laut über eine Anlageberatung für seine Kunden nach, auch die Comdirect Bank ist nicht prinzipiell abgeneigt: Ihr Sprecher Mathias Hajek jedenfalls schließt nicht aus, dass sein Unternehmen in Zukunft Anleger auch persönlich über die besten Vermögensstrategien aufklärt. „Dann stellt sich aber natürlich die Frage, wie man sich das entgelten lässt.“

ZDNet.de Redaktion

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