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In München stehen Fachkräfte auf der Straße

Wo man hinkommt, hört man Firmen – besonders aus der IT-Branche – über den Mangel an qualifizierten Fachkräften hierzulande jammern. Und wenn man sich in München und Umgebung umhört, so wie ZDNet das im Spätsommer 2011 ausführlich getan hat, hört man immer wieder und allerorts, wie attraktiv München als Standort für IT-Firmen ist.

Kein Wunder daher, dass sich mancher etwas länger den Kopf gekratzt hat, als Nokia Siemens Networks vor einigen Tagen angekündigt hat, in Deutschland rund 2900 Stellen zu streichen und den Standort München, an dem 3600 Beschäftigte arbeiten, dicht zu machen. Man wolle sich auf Berlin, Bonn, Bruchsal, Düsseldorf und Ulm konzentrieren. „Wir müssen in Deutschland diesen schwierigen Schritt machen, um sicherzustellen, dass Nokia Siemens Networks ein wirtschaftlich nachhaltiges Unternehmen ist“, sagte NSN-Deutschland-Chef Hermann Rodler.

Die Verwunderung legt sich etwas, wenn man weiß, dass in München ein großer Teil der Verwaltung angesiedelt ist. Ohne den dort Beschäftigten zu nahe treten zu wollen, geht NSN wahrscheinlich davon aus, dass sich Funktionen im Personalwesen, der Buchhaltung und ähnlichen Bereichen auch in Bruchsal oder Berlin besetzen lassen. Schließlich sind das zwar qualifizierte Kräfte, aber eben keine technischen Fachkräfte, nach denen sich die anderen Firmen so sehr sehnen.

Die Reaktion der Gewerkschaften war absehbar und folgte auf dem Fuße: „Wir wehren uns mit den Beschäftigten gegen diesen Kahlschlag. Unser Ziel ist es, durch einen Tarifvertrag zur Zukunftssicherung möglichst viele Arbeitsplätze bei NSN zu erhalten und die Schließung des Standortes München abzuwenden“, so Michael Leppek, Beauftragter der IG Metall für NSN. Die Arbeitnehmervertreter riefen zudem die Beschäftigten zu Protestaktionen auf: Am Morgen des 1. Februar protestierten sie vor dem Vorstandsgebäude in der Werinherstraße.


Die fast 3000 entlassenen Mitarbeiter von Nokia Siemens Networks sind anderswo hochwillkommen (Screenshot: ZDNet.de).

Die Aktion der Gewerkschaft ist sicher aller Ehren wert, ob sie etwas gebracht hat, darf man aber bezweifeln. Wahrscheinlich waren die Adressaten um die Zeit mit Frühstücksei und Pyjama ohnehin noch irgendwo im kuschelig warmen Home-Office und haben sich per komfortabler Videokonferenzlösung von Cisco und über Mobilfunknetze von Alcatel-Lucent die nächsten Schritte überlegt – zum Beispiel wer von ihren direkten Untergebenen nach Düsseldorf muss und wer in das von München noch gut erreichbare Ulm darf.

Andere waren nicht so bequem: Sie haben sofort das Potenzial gesehen, dass 2900 gekündigte und 700 an ihrem aktuellen Arbeitsplatz frustrierte und eingeschüchterte Mitarbeiter für ein mittelständisches Unternehmen bieten, dass sich zuvor monatelang abgestrampelt hat, eine Hand voll neuer, fähiger Kollegen zu finden. Der eine oder andere Personaler machte sich sicher via Xing oder LinkedIn auf die Pirsch nach NSN-Geschädigten.

Der Münchner Messaging-Spezialist Retarus hat sich dagegen spontan eine handfestere Aktion einfallen lassen. Über die berichtet er auf seiner Facebook-Seite. Da die eigenen Büros nur 1200 Meter Luftlinie vom NSN-Totenschiff entfernt sind, druckte man sich kurzerhand ein paar hundert Handzettel aus, entwarf ein paar künstlerisch anspruchslose, aber sehr aussagekräftige Plakate und zog bei minus 10 Grad auf die Suche nach neuen Mitarbeitern vor die Kantine von Nokia Siemens Networks, um, wie Personalchefin Julia Hager auf Facebook schreibt, „den Leuten mitzuteilen, dass sie gebraucht werden.“

Konkret sah das so aus: man klebte ein gut von innen lesbares Poster an die Außenseite. „Nach und nach drehten sich 500 Köpfe in unsere Richtung. Das kollektive Lächeln deuteten wir als Einladung, vor dem Eingang Flyer zu verteilen. Reaktion der circa 300 erreichten Leute aller Abteilungen: 98 Prozent sehr, sehr positiv“, so ein Firmensprecher gegenüber ZDNet. Nur ein einziger Kantinengänger aus der NSN-Personalabteilung sei skeptisch gewesen. Vielleicht überzeugt man den ja das nächste Mal. Falls ein nächstes Mal überhaupt noch notwendig ist…

ZDNet.de Redaktion

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