Politiker fordern virtuelle Schengen-Grenze im Internet

Wenn sich Politiker mit Netzpolitik beschäftigen, kommt häufig nichts Vernünftiges dabei heraus, insbesondere wenn es sich um EU-Politiker handelt, die meist von ihren nationalen Regierungen wegen offensichtlicher Inkompetenz nach Europa abgeschoben wurden. Gestern wurde ein Papier (PDF) bekannt, in dem die Law Enforcement Working Party (LEWP) einen „einheitlich sicheren europäischen Cyberspace“ mit einer „virtuellen Schengen-Grenze“ fordert.


Schengen-Grenze für Datenpakete. An altbekannten Schildern muss nicht viel Text verändert werden.

Nach außen sind nur wohl definierte „Virtual Access Points“ erlaubt. In diesem sauberen und kontrollierten Europa-Net sollen unerlaubte Inhalte auf Basis der „EU Blacklist“ herausgefiltert werden.

Das ist doch eine tolle Sache. Wer illegale Inhalte innerhalb der EU veröffentlicht, wird dingfest gemacht und zur Rechenschaft gezogen. Der AK Zensur gibt dafür einige Beispiele: So kann man nicht einfach das Wort „Kinder“ im Domainnamen verwenden, da es sich um einen Markennamen von Ferrero (Kinder-Schokolade) handelt.

Inhalte aus dem Ausland werden an der „Schengen-Grenze“ abgefangen und müssen im Zweifel erst einmal nachweisen, dass sie in der EU erlaubt sind. Die alten Zustände müssen wiederhergestellt werden: Wer behauptet, Politiker X habe seine Doktorarbeit gefälscht, muss sofort auf die EU-Blackliste gesetzt werden. Das ist schließlich Rufschädigung.

Wenn ein Volk in Nordafrika gegen seinen Diktator aufbegehrt, kann der EU-Ministerrat je nach politischer Großwetterlage entscheiden, ob EU-Bürger die Aufständischen als Terroristen oder Freiheitskämpfer anzusehen haben. An der Schengen-Grenze entscheidet sich, ob ein selbstgedrehtes Handy-Video aus Syrien oder Libyen ein Visum bekommt oder nicht – selbstverständlich nur deswegen, weil die darin zu sehende Gewalt für Jugendliche entwicklungsgefährdend sein könnte.

Der FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz findet deutliche Worte gegenüber Heise online: Einigen EU-Bürokraten scheine es zu gefallen, den Cyberspace durch ein „sauberes Disneyland“ zu ersetzen. Eine „chinesische Lösung“ sei aber weder mit den Freiheiten des Netzes noch mit dem unterschiedlichen Strafrecht der EU-Staaten vereinbar.

Obwohl man sich wohl wenig Gedanken wegen des LEWP-Vorschlags machen muss, fragt man sich schon, wes Geistes Kind manche Politiker in Europa und offensichtlich auch in Deutschland sind. Pluralismus und Meinungsfreiheit werden scheinbar nicht als hohes Gut gehandelt – wenn es um Schwerstkriminalität wie Musiktausch unter Jugendlichen geht, erst recht nicht.

ZDNet.de Redaktion

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