Wird das Hardwaregeschäft für Oracle zum Stolperstein?

Vergangene Woche hat Gartner die Zahlen für den Servermarkt 2010 vorgelegt. Demnach konnte Oracle im vierten Quartal – gemessen an Stückzahlen – 40 Prozent weniger Server verkaufen als im Vorjahresquartal. Das ist gegenüber dem dritten Quartal nochmal ein deutlicher Einbruch. Übers Jahr gesehen liegt der Rückgang bei 32 Prozent – allerdings in einem Markt, der gemessen an den Stückzahlen insgesamt um 17 Prozent gewachsen ist. Damit kommt Oracle/Sun im Server-Markt nun auf rund sieben Prozent. In vielen Segmenten werden Anbieter, die weniger als zehn Prozent aufweisen, für den Gesamtmarkt schon als vernachlässigenswert erachtet.

US-Analyst und Journalist Rob Enderle stellt zudem fest, dass Oracle nicht nur in einem insgesamt sich positiv entwickelndem Umfeld Marktanteile verliert, sondern dass dies offenbar immer schneller geschieht. Das erklärt für ihn auch, warum sich das Unternehmen im vergangenen Monat so negativ über HP und Intels Itanium geäußert hat.

Obwohl Oracle die finanziellen Auswirkungen in seiner Bilanz durch starke Zahlen in anderen Bereichen kaschieren könne, berichteten Kunden zunehmend von exzessiven Preisforderungen. Enderle sieht das als Zeichen, dass Oracle nach Wegen sucht, ihnen mehr Geld abzuknöpfen, um die Einbußen bei Sun zu kompensieren. Das geht aber in der Regel nicht lange gut.

Das Problem lässt sich auf zwei Hauptursachen zurückführen: Oracle erreicht im Hardwaregeschäft nicht mehr die kritische Masse, wodurch dieses nicht mehr auf eigenen Beinen stehen kann. Alternativ (oder zusätzlich) haben die Kunden kein Interesse daran, die schwere Zeit zusammen mit dem Hersteller durchzustehen. Sie wenden sich daher in Scharen von der Plattform ab.

Oracles Dracula-Strategie

Anlässlich der jüngsten telefonischen Bilanzpressekonferenz erörterte Oracle lang und breit die Fortschritte bei den Highend-Plattformen Exalogic und Exadata und deren Margen. Co-Präsidentin Safra Catz sagte: „In diesem Quartal erzielten wir 55 Prozent Bruttomarge in unserem Hardwaregeschäft. Der Grund dafür ist, dass unter dem Dachbegriff Hardware der Anteil der Sun-Produkte zunimmt und der Anteil der Nicht-Sun-Produkte, die wir nur weiterverkaufen, deutlich zurückgeht. Außerdem verkaufen wir viel mehr aus der Exadata/Exalogic-Reihe.“ In dem Zusammenhang erinnerte Catz daran, dass diese Systems mit hohen Margen verkauft und außerdem ansehnliche Softwareumsätze nach sich ziehen würden. Dazu passt, dass Gartner für Oracles Katastrophenquartal zwar den Rückgang der Stückzahlen verkaufter Server mit rund 40 Prozent beziffert, der Umsatzrückgang aber nur bei gut 16 Prozent liegt.

Welche andere Firma – außer vielleicht Apple – kann in dieser Art über Bruttormargen im Server-Business sprechen? Obwohl die Situation dort natürlich etwas anders ist, lohnt sich ein Blick auf die Aussagen von Dell (PDF): Darin freuen sich die Verantwortlichen über einen Anstieg der Bruttomargen im Produktgeschäft von 14,1 auf 15,9 Prozent.

Ablenken von den eigentlichen Problemen

In den Aussagen von Catz lässt aber noch etwas anderes aufhorchen: Sie sagt, dass „unter dem Dachbegriff Hardware der Anteil der Sun-Produkte zunimmt“. Wie passt das mit den Zahlen von Gartner und den Beobachtungen von Enderle zusammen? Die Überprüfung macht Oracle nicht leicht. Catz wies nämlich auch darauf hin, dass man bereits vor ein paar Quartalen angekündigt habe, nun wirklich nicht mehr lange in der Lage zu sein, den genauen Beitrag von Sun zum Gesamtgewinn zu ermitteln. Ob man wirklich nicht kann oder einfach nicht will sei dahingestellt.

Enderle kommt zu dem Schluss, dass der Verfall das Sun-Hardwaregeschäfts seinem Endstadium entgegengeht und Oracle fieberhaft nach einem Plan B sucht. Daher auch die Angriffe auf HP, die – so Enderle – der Konzern sicher nicht unerwidert lassen wird. Zudem schade Oracle mit dem wütenden Um-sich-schlagen nur sich selbst: Wenn Kunden sich von der Sun-Hardware abwenden, weil sie das Vertrauen in Oracle verloren haben beziehungsweise die Sun-Roadmap nicht mehr verstehen oder unglaubwürdig finden, dann müsste die Lösung des Problems bei diesen Sorgen ansetzen.

Die Vorwürfe gegen HP, die sich schnell als Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen entlarven lassen, helfen dagegen nicht. Im Gegenteil, sie verstärken das Misstrauen der Kunden. Ein paar Analysten mögen sich dadurch bluffen lassen, erfahrene Praktiker eher nicht.

Das ist nicht das erste Mal, dass Oracle mit seinen Kunden ein gefährliches Spiel spielt. Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass man von ‚Vorfällen‘ in der Kundenbeziehung zu Oracle hört. Neuerdings kursieren – allerdings noch unbestätigte – Gerüchte, dass Oracle die Laufzeit von noch durch Sun geschlossenen Wartungsverträgen reduzieren will, um bei Neuabschlüssen aus ehemaligen Sun-Kunden mehr Geld herauszupressen.

Möglich ist das immer wieder, weil der Austausch der Hardware für Kunden eben nicht so einfach ist wie oft unterstellt – schon gar nicht, wenn darauf die für das Unternehmen wichtigsten Anwendungen laufen. Andererseits gibt es schon Alternativangebote. So werden zum Beispiel zahleiche Unternehmen aus der Finanzbranche sowohl in New York als auch in London heftig umworben, im Zuge einer Portierung der Sybase-Datenbank auf SAP-Back-Office-Systeme umzustellen. Das Hauptargument sind dabei in der Regel die TCO – die durchaus geringer sein können.

Allerdings sind gerade diese Kunden an langjährige Verträge mit Oracle-Datenbanken und Anwendungen gebunden, so dass ein Massenexodus in naher Zukunft nicht viel mehr als Wunschdenken ist. Dennoch könnte die Flucht der Kunden bei der Hardware weiterreichende Folgen haben. Schließlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass manche von ihnen den Schritt zum Anlass nehmen, ihre Beziehung zu Oracle generell einmal kritisch zu überdenken.

Auswirkungen erst 2012 zu erwarten

Oracle steht vor einer wichtigen Zeit im Verlauf seines Fiskaljahres. Es würde wohl nur wenige erstaunen, in den nächsten Wochen verstärkt von Lizenz-Audits zu hören. Und wenn Kunden, die derzeit alles andere als glücklich mit der Situation im Hardware-Bereich sind, sich so zusätzlich auf die Füße getreten fühlen, werden Lizenzverkäufer in den kommenden Wochen viel zu tun bekommen. Die Auswirkungen dieser Betriebsamkeit auf das bevorstehende vierte Quartal des Oracle-Geschäftsjahres sind jedoch sicherlich noch gering.

Um sie geht es aber auch gar nicht. Wichtig werden die ersten zwei, drei Quartale des Geschäftsjahres 2012. Wenn die vorbei sind, wird man mehr wissen. Möglicherweise hat sich bis dahin gezeigt, ob Oracle den Gesetzen des Marktes auch weiterhin spotten kann. Interessant wird auch sein, inwieweit der in letzter Zeit wesentlich verjüngte und dynamischere Wettbewerber SAP von der Situation profitiert. Und vielleicht fragt sich in einem Jahr so mancher bei Oracle, wer um alles in der Welt damals die blöde Idee gehabt hat, die Unglücksfirma Sun zu übernehmen.

ZDNet.de Redaktion

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