26C3: Linguistik-Professor unterrichtet Hacker in Leyen-Rhetorik

Der Bamberger Linguistik-Professor Martin Haase hat gestern auf dem 26. Chaos Communication Congress (26C3) einen für eine Hacker-Konferenz recht ungewöhnlichen Vortrag gehalten. Er unterwies die Teilnehmer in Leyen-Rhetorik.

Am Beispiel einiger Reden zum Internetzensurgesetz von BKA-Chef Jürgen Ziercke und Ex-Familienministerin Ursula von der Leyen erläuterte der im Zensursula-Shirt sprechende Haase rhetorische Stilmittel wie Antiklimax, Hyperbel und Litotes.

Ziercke verwende bevorzugt die Stilmittel Litotes und Antiklimax. Dies zeige sich etwa in dem Satz aus einer Rede vom Sommer 2008 „Ich stoße eine Diskussion an, dass die deutschen Internet-Provider gesetzlich verpflichtet werden sollten, Webseiten auszufiltern, die kinderpornografische Inhalte haben, Webseiten zu sperren, den Zugriff auf solche Webseiten deutlich zu erschweren“.

Anstelle Websperren zu „fordern“, nutze Ziercke die Litotes (Abschwächung) und „stoße nur eine Diskussion an“. Man könne jedoch an der Einleitung des Nebensatzes mit dem Wort „dass“ erkennen, dass er die Websperren fordere, da die Formulierung „Ich fordere, dass …“ besser passe als „Ich stoße eine Diskussion an, dass …“.

Die Antiklimax verwende er, indem er seine Forderungen in der Reihenfolge „Webseiten auszufiltern“, „Webseiten sperren“, „den Zugriff … deutlich zu erschweren“ aufzähle. Damit werde ebenfalls eine Abschwächung erreicht, die bewirken solle, dass der Zuhörer die Forderungen als weniger gravierend empfinde.

Völlig anders gehe die Ex-Familienministerin vor. Sie verwende überwiegend die Hyperbel (Übertreibung). Anhand des Satzes „man muss nicht nur die Täter verfolgen – unglaublich schwer -, sondern man kann auch das Millionengeschäft, was jeden Tag am PC zum Beispiel in Deutschland läuft, ganz empfindlich durch diese Zugangssperre bloggen [gemeint ist: blocken]“ aus einem hr2-Interview hob Haase die hyperbolischen Wörter „Millionengeschäft“, „unglaublich“, „jeden Tag“, „ganz“ und „empfindlich“ hervor.

Dabei mache von der Leyen noch den Fehler das Adverb „empfindlich“ mit „blocken“ zu kombinieren, was semantisch falsch sei. Ferner diene die Konstruktion „man muss nicht nur … sondern kann auch“ dazu, die Verfolgung von Tätern und Zugangssperren als gleichwertig darzustellen, obwohl das objektiv nicht der Fall ist.

Vor dem Publikum sah sich Haase für seinen Vortrag ideal positioniert. „Hacker nehmen alles auseinander, um es dann wieder kreativ zusammenzusetzen“, sagte der Professor. Diese Vorgehensweise ließe sich sehr gut auf Politikerreden anwenden. Er forderte die Teilnehmer auf, technikbegeistert zu bleiben. Sie sollen jedoch auch zu „Sprach- und Texthackern“ werden. Text und Folien des Vortrages (beides PDF) sind auf der Website des Kongresses abrufbar.

ZDNet.de Redaktion

Recent Posts

Dirty Stream: Microsoft entdeckt neuartige Angriffe auf Android-Apps

Unbefugte können Schadcode einschleusen und ausführen. Auslöser ist eine fehlerhafte Implementierung einer Android-Funktion.

2 Stunden ago

Apple meldet Umsatz- und Gewinnrückgang im zweiten Fiskalquartal

iPhones und iPads belasten das Ergebnis. Außerdem schwächelt Apple im gesamten asiatischen Raum inklusive China…

2 Stunden ago

MadMxShell: Hacker verbreiten neue Backdoor per Malvertising

Die Anzeigen richten sich an IT-Teams und Administratoren. Ziel ist der Zugriff auf IT-Systeme.

17 Stunden ago

April-Patches für Windows legen VPN-Verbindungen lahm

Betroffen sind Windows 10 und Windows 11. Laut Microsoft treten unter Umständen VPN-Verbindungsfehler auf. Eine…

18 Stunden ago

AMD steigert Umsatz und Gewinn im ersten Quartal

Server-CPUs und Server-GPUs legen deutlich zu. Das Gaming-Segment schwächelt indes.

1 Tag ago

Google stopft schwerwiegende Sicherheitslöcher in Chrome 124

Zwei Use-after-free-Bugs stecken in Picture In Picture und der WebGPU-Implementierung Dawn. Betroffen sind Chrome für…

3 Tagen ago