Der Chaos Computer Club (CCC) hat auf Wunsch des Bundesverfassungsgerichts öffentlich Stellung zur Vorratsdatenspeicherung bezogen. Sein Fazit lautet: „Durch die ungebremste Aufzeichnung der digitalen Spuren wird das Mobiltelefon mehr und mehr zu einer Ortungswanze, sofern dem speicherwütigen Staat nicht Einhalt geboten wird. Sollte die Vorratsdatenspeicherung vor Gericht Bestand haben, bedeutet das praktisch ein Ende der Freiheit, unbeobachtet und ungestört zu leben.“

Mit Hilfe von genauen Nutzerinformationen und durch die Analyse von Verbindungsdaten könnte künftig „ein praktisch vollständiges Persönlichkeitsbild“ eines Bürger erstellt werden. Allein durch die Speicherung der Verbindungsdaten sei es schon heute möglich, „tiefe Einblicke ins Privatleben aller Telefonnutzer“ zu erlangen, so der Chaos Computer Club.

„Es besteht überhaupt kein Grund für die Annahme, dass Telekommunikationsfirmen, Dienstleister oder Behörden in der Lage sind, die im automatisierten Massenbetrieb erlangten Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung sicher zu verwahren“, so CCC-Sprecher Frank Rieger. „Sensible Daten werden in letzter Zeit unentwegt gestohlen, versehentlich veröffentlicht oder absichtlich missbraucht. Solche Verluste und Missbräuche von Verbindungs- und Standortdaten sind nur durch ein einziges Mittel zu verhindern: Die Erhebung und Speicherung müssen gesetzlich verboten statt vorgeschrieben werden.“

Weiter heißt es in der vom CCC veröffentlichten Stellungnahme, viele deutsche Netzanbieter hätten die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen in ihrem Netz an Dienstleister ausgelagert – auch die Vorratsdatenspeicherung. So biete etwa Nokia Siemens Networks, das jüngst durch die Lieferung von Abhörsystemen in den Iran für Schlagzeilen gesorgt hatte, solche zweifelhaften Dienstleistungen an. Dadurch entstünden technisch hochzentralisierte und nicht kontrollierbare Überwachungsknoten, in denen die Netzanbieter keine aktive Rolle mehr spielten.

Funktional unterscheide sich dieses Zentralsystem nur noch durch geringfügige Konfigurationsunterschiede von den in Diktaturen weltweit zur Kontrolle von Abweichlern verwendeten Installationen, so der CCC. Für die Abfrage der Verbindungsdaten gebe es auch in Deutschland automatisierte Schnittstellen, deren technische Konzeption auf eine uferlose, großvolumige Nutzung hinwiesen. Diese Infrastruktur sei für vollautomatisches millionenfaches Eindringen in die Privatsphäre ausgelegt.

Verbindungsdaten seien zudem für Mitarbeiter- und Konkurrentenbespitzelung sowie Wirtschaftsspionage ausgesprochen lukrativ. Deutsche Geheimdienste erhielten die Daten auf „legalem“ Weg. Für Großunternehmen, ausländische Dienste und kriminelle Elemente sei ein Zugang durch Ausnutzung von Hintertüren, undichten Stellen oder Sicherheitslücken möglich – falls sie die Daten nicht ohnehin über ihren deutschen Partnerdienst erhielten.

ZDNet.de Redaktion

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