Open Source und das Black-Hole-TCO-Argument

ZDNet: Von welchen Bereichen der öffentlichen Verwaltung sprechen wir eigentlich genau?

Wernberg-Tougaard: Oh, im Prinzip alles. Wir sind ja umgeben von und eingebunden in eine Vielzahl von Behörden, Ämtern, Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen, Rathäusern, Kommunalverwaltungen, Justizbehörden, Exekutive, Regierungen und so weiter und so weiter. Das ist ein weites Feld, daher wurden ja auch schon so viele Anläufe unternommen, um OSS zu nutzen. Meistens, weil man sich Kostenvorteile erhoffte.

ZDNet: Ist das denn keine unmittelbare Auswirkung der OSS-Einführung?

Wernberg-Tougaard: Nun, möglicherweise. Es könnte nämlich sein, dass man die eingesetzte Hardware länger nutzen kann. Aber so eine Umstellung hat enorme Auswirkungen, bis hinein in die Art, wie man mit Regierungs- oder Verwaltungsaufgaben umgeht. Unsere Erfahrung ist, dass Sie in der Regel mehr IT-Mitarbeiter im Haus brauchen. Das muss jedes Mal von Fall zu Fall ausgelotet werden.

Wenn man nur eine Komponente auswechselt – etwa Linux statt Windows -, mögen die Folgen nicht so gravierend sein. Bei einer kompletten Migrationen verändert sich aber alles. Man muss sich beispielsweise gut überlegen, ob man genug Unterstützung durch die OSS-Community erhält, nachdem man die freie Software installiert hat. Da könnte ich Ihnen einige Geschichten erzählen.

ZDNet: Na, dann schießen Sie mal los.

Wernberg-Tougaard: Also gut: Ein französisches Ministerium hatte sich dazu entschlossen, für seine Mitarbeiter ein E-Learning-Tool auf Open-Source-Basis einzusetzen. Nur ging kurz nach der Implementation der Software die betreuende Firma pleite. Das Ministerium hatte ein echtes Problem. Sie haben es dadurch gelöst, dass sie die Entwicklung des Codes selbst in die Hand genommen haben. Daran kann man exemplarisch sehen, dass man nicht einfach sagen kann, der Einsatz von OSS im öffentlichen Sektor ist prinzipiell gut.

ZDNet: In den Rathäusern der großen europäischen Kommunen kann man den Kampf zwischen Linux-Verfechtern und Microsoft deutlich verfolgen: München und Wien beispielsweise stellen auf OSS um, die Stadtverwaltung von Birmingham dagegen hat im November das Aus für den geplanten Umstieg von etwa 1500 Computern auf Linux bekannt gegeben.

Wernberg-Tougaard: Ja, dafür gibt es viele Beispiele. Aus meinem Heimatland Dänemark etwa kann ich Ihnen berichten, dass die öffentliche Verwaltung all ihre Desktops von Windows komplett auf OSS umstellen wollte. Das Argument lautete: Wir sparen uns die Lizenzkosten! Das ist allerdings genau das, was ich das „Black-Hole-TCO-Argument“ nenne. Denn man übersieht dabei gerne, welche Kosten noch an dieser „kleinen“ Umstellung hängen. Im Falle Dänemarks mussten Linux und Open Office natürlich in die bestehende Legacy eingebunden werden. Das Problem war, dass die Makros aller Dokumente Microsoft unterstützten. In der Folge mussten alle Macroscrips geändert werden. Ein Heidenaufwand! Man kann also nicht ohne weiteres eine proprietäre Komponente gegen eine OSS-Komponente austauschen. Kurzzeitige Kostenvorteile können von langfristigen Kostennachteilen überschattet werden.

ZDNet: Eine letzte, konkrete Frage: War es klug, dass München sich auf eine selbstgeschneiderte Version von Debian festgelegt hat? Auch Suse und Red Hat hatten sich große Hoffnungen gemacht, den Deal zu gewinnen.

Wernberg-Tougaard: Das ist schwer zu sagen. Debian als Betriebssystem an und für sich ist gut. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich Debian im Zusammenspiel mit beispielsweise der bestehenden Server-Infrastruktur anders verhält als Red Hat oder Suse. Hier ist es wohl eher eine Frage des Supports: Wenn die Stadt sich entschieden hat, sich selbst ein Debian zu schneidern, muss sie es eben auch selbst supporten. Dadurch werden selbstverständlich mehr Mitarbeiter nötig sein, als wenn sie den Auftrag an Red Hat oder Suse vergeben hätten. Aber München wird das sicher durchgerechnet haben.

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ZDNet.de Redaktion

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