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Filesharing-Abmahnungen: BGH definiert zumutbare Nachforschungen durch Anschlussinhaber in Urteilsbegründung

Im Oktober 2016 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein wegen Filesharing abgemahnter Inhaber eines Internetanschlusses, der selbst weder Filme noch Musik getauscht hat, auf Rechnern von Familienmitgliedern keine Nachforschungen anstellen muss, um sich selbst zu entlasten. Es reicht aus, wenn er darlegt, wer als Täter außer ihm in Frage kommt. Jetzt liegt die komplette Urteilsbegründung (Aktenzeichen I ZR 154/15 – Afterlife /PDF) vor. Anwalt Christian Solmecke bezeichnet das Urteil als „weiteren Sieg und Meilenstein im Kampf gegen die Massenabmahnungen in Filesharing-Verfahren.“ Er hatte in dem Verfahren den Abgemahnten vertreten.

Rechtsanwalt Christian Solmecke (Bild: Solmecke / WBS Law)

Das Urteil klärt, inwieweit ein abgemahnter Internet-Anschlussinhaber verpflichtet ist, Nachforschungen in Bezug auf die Nutzung seines Anschlusses durch Dritte anzustellen, um sich selbst zu entlasten, wie die Kanzlei Wilde Beuger Solmecke mitgeteilt hat. Es schließt damit eine Interpretationslücke, die nach dem sogenannten „BearShare Urteil“ (Aktenzeichen I ZR 169/12) vom 8. Januar 2014 offen geblieben ist.

Der Bundesgerichtshof hatte damals festgestellt, dass nicht einfach davon ausgegangen werden kann, dass der Anschlussinhaber immer der Täter ist und haftet, falls zum Tatzeitpunkt auch andere volljährige Familienmitglieder den Anschluss nutzen konnten. Er muss allerdings dem Abmahnenden mitteilen, ob Dritte Zugriff hatten, wer das ist und ob sie als Täter in Betracht kommen, um sich zu entlasten. Wie der BGH damals erklärte, seinen „zumutbare Nachforschungen“ anzustellen, um diese Informationen zu bekommen. Jetzt wird etwas genauer festgelegt, was „zumutbare Nachforschungen“ sind.

„Der BGH hat nun in seiner Entscheidung erfreulicherweise deutlich festgestellt, dass die Nachforschung lediglich auf einen möglichen Zugriff potenzieller Täter und deren Namen bezogen sind. Für Verheiratete ist es ausreichend, wenn sie dem Gericht mitteilen, dass der Ehepartner selbständig Zugriff auf den Computer hatte. Weitergehende Nachforschungen sind dem Anschlussinhaber nicht zuzumuten“, erklärt Anwalt Solmecke nach Durchsicht der Urteilsbegründung. Der Abgemahnte müsse aber nicht selbst den Täter finden und diesen benennen, um sich zu entlasten.

„Zwar ist der Anschlussinhaber verpflichtet, seinen eigenen Computer zu untersuchen und mitzuteilen, ob sich Filesharing-Software darauf befunden hat. Eine darüber hinausgehende Untersuchung des Ehegatten-Computers, insbesondere im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software, ist dem Anschlussinhaber jedoch nicht zumutbar. Das dürfte auch dann gelten, wenn auf einem gemeinsamen Computer verschiedene passwortgeschützte Accounts existieren sollten“, so Solmecke weiter.

Laut Urteilsbegründung müssen auch keine Nachforschungen zu den Zugriffszeiten auf den Internetanschluss oder der Art der Internetnutzung des Ehegatten durchgeführt werden. Zudem ist auch die im Falle von Abmahnungen wegen Filesharing über Internetanschlüsse von Firmen relevante, sogenannte „Transportrechtsentscheidung“ des BGH der nun veröffentlichten Urteilsbegründung zufolge nicht auf privat genutzte Internetanschlüsse übertragbar. Familienangehörigen zu verhören oder deren Computer zu durchsuchen ist laut BGH weder mit Artikel 7 der EU-Grundrechtscharta noch mit Artikel 6, Absatz 1 des Grundgesetzes vereinbar. „Damit stellt der BGH die durch das Grundgesetz geschützte Familie, über die Rechte der Musikindustrie“, so Solmecke.

[Mit Material von Peter Marwan, silicon.de]

ZDNet.de Redaktion

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