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Geisterdebatten

Nach und nach zeigt die gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptung, wir würden zu wenig arbeiten, Wirkung — selbst in der IT-Branche. Dabei widerspricht sie gerade hier jeder Erfahrung. Tausende von Mitarbeitern von HP, Compaq, Siemens und Co. sind in den vergangenen Jahren doch nicht wegen Faulheit geschasst worden. Einige haben ihren Job verloren, weil ihre Firma Pleite ging. Das gilt insbesondere für die Beschäftigten in der so genannten New Economy, die Arbeitszeitbegrenzung fast generell nicht kannte. Andere, etwa im PC-Geschäft, wurden auf die Straße gesetzt, weil nicht genug Aufträge eingingen, sprich: es an Arbeit mangelte. Hinzu kamen so genannte Umstrukturierungen, insbesondere nach Fusionen.

Für die meisten Unternehmen lässt sich zusammenfassend sagen, dass ihnen die Arbeitsplätze schlicht zu teuer kamen. In dieser gewerkschaftlich kaum erschlossenen Branche gehört es nach wie vor zum guten Ton, so lange zu arbeiten, bis ein Projekt abgeschlossen ist. Die Gewerkschaften beklagen seit Jahren, den wachsenden Berg an Überstunden (so sie überhaupt erfasst werden). Diese Situation hat sich durch die Entlassungen nur noch verschärft. Immer weniger Mitarbeiter müssen immer mehr Aufgaben stemmen. Viele Firmen kommen längst nicht mehr ohne freie Mitarbeiter aus. An Arbeit — und das gilt auch außerhalb der IT-Branche — fehlt es wahrlich nicht. Es fehlt auch nicht an qualifizierten leistungsbereiten Fachleuten, wie die traurigen Statistiken des Arbeitsamts und die Jobbörsen belegen. Kurz: Nichts deutet darauf hin, dass die Leute mehr arbeiten müssten als sie sowieso wollen.

Insofern ist es erklärungsbedürftig, wenn diese Forderung selbst von Leuten vorgebracht wird, die niemanden kennen, der weniger als 40 Stunden arbeitet. Einige von ihnen werden schlicht argwöhnen, dass zwar bei ihnen die Arbeitskonzentration ständig wächst, nicht aber woanders. Für solche Leute ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass auch anderen (beliebte Prügelknaben sind hier die Beamten) so viel aufgehalst wird wie ihnen.

Tatsächlich jedoch geht es nicht darum, mehr zu arbeiten, sondern darum, Arbeit bezahlbarer zu machen. Es ist deshalb falsch, wenn die Gewerkschaften nach Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich verlangen. Das verteuert die Arbeit. Sie sollten sich vielmehr dafür einsetzen, dass die Sozialkassen nicht mehr als Lohnnebenkosten die Geldbeutel von Beschäftigten und Arbeitgebern belasten. Vor allem sollten sie für weniger Arbeit auch weniger Geld verlangen. Erst unter diesen Bedingungen kann ihr Konzept aufgehen, wonach eine Reduzierung der Stundenzahl dazu führt, dass mehr Arbeit zu verteilen ist.

Der Wunsch der Unternehmen, angesichts der Wirtschaftssituation und der hohen Lohnnebenkosten, möglichst viel aus einem Mitarbeiter herauszuholen, mag verständlich sein. Die Arbeitgeber sollten jedoch aufhören, zu unterstellen, die Menschen würden nicht genug arbeiten. Gerade für die Beschäftigten in der IT-Branche klingt dieser Vorwurf wie Hohn. Immerhin gäbe es ohne das Engagement der Mitarbeiter weder Dienstleistungen noch Produkte und damit keinen Umsatz.

ZDNet.de Redaktion

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