Fraunhofer Institut eröffnet Usability-Labor

Der Videorecorder wird bald aussterben, doch sein altes Problem nimmt er wohl mit ins Grab: Kaum jemand kann ihn auf Anhieb richtig programmieren. Ein Schicksal, das er mit zahlreichen Geräten der Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik teilt. Viele tolle Funktionen bleiben ungenutzt, weil auch ein intensives Studium des Handbuchs nicht unbedingt zum Ziel führt.

Bei Internetauftritten und Softwareprodukten sieht die Lage nicht viel besser aus. Bis dato müssen Windows-Nutzer zum Beispiel auf den „Start“-Button klicken, wenn sie den PC ausschalten möchte. Sinnig ist das nicht. Um derartige Widersinnigkeiten schon im Ansatz zu vermeiden, eröffnet das Fraunhofer Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme (IPSI) in Darmstadt heute ein neues Usability-Labor.

Psychologen, Pädagogen, Didaktiker, Grafikdesigner und Informatiker testen neue Technik auf ihre Benutzerfreundlichkeit. „Ein Produkt muss einfach zu bedienen sein. Das erwartet jeder Hersteller und erst recht jeder Kunde“, sagt Laborleiterin Friederike Joedick. Zielgruppe des Labors sind kleine und mittelständische Unternehmen, die sich im Gegensatz zu den großen Konzernen keine eigene Usability-Abteilung leisten können.

Zu den Besonderheiten der Fraunhofer-Einrichtung zählt, dass die Firmen dort ihre Neuentwicklungen in einem frühen Entwicklungsstadium mit einem Konkurrenzprodukt vergleichen lassen können. Eine weitere Spezialität sind die Tests für Groupware wie etwa die Software für Videokonferenzen oder Programme für E-Learning in Unternehmen.

Damit Hersteller die Bedürfnisse und Arbeitsweisen ihrer Kunden besser kennen lernen, stehen in dem Labor vier Einzelkabinen zur Verfügung, die mit Audio- und Videoaufzeichnungsgeräten ausgestattet sind. Sie übermitteln das Verhalten der Probanden in den Kontrollraum, in dem vier Hochleistungsrechner über die Reaktionen wachen. Dabei werden dank der Bild-in-Bild-Technik sowohl der Monitor der Testperson als auch der Proband selbst aufgezeichnet. „Bildschirmsignale und zugleich die Mimik zu überwachen ist sehr aufschlussreich“, sagt Joedick.

Eine Aufgabe könnte zum Beispiel lauten, herauszufinden, wie intuitiv sich das Programm „Netmeeting“ von Microsoft bedienen lässt. Vier Tester chatten miteinander, rufen Power-Point-Charts auf, um diese für ein anstehendes Meeting zu besprechen. Die Probanden werden aufgefordert, eine weitere Person zu der virtuellen Konferenz dazu zu holen. Jetzt wird es für die Beobachter im Kontrollraum spannend: Wie viel Zeit ist nötig, um das Fenster für diese Funktion zu finden? Werden die Icons richtig erkannt? Scheitern die Teilnehmer gar an der Aufgabe?

Etwa eine Stunde lang wird den Versuchspersonen in verschiedenen Situationen auf die Finger geschaut. Dabei wird ein Fragenkatalog abgearbeitet, der unter anderem Antwort darauf gibt, wie intuitiv und fehlerrobust die Benutzerführung ist. Fehlerrobust bedeutet, dass ein paar falsche Clicks nicht gleich in die Sackgasse führen dürfen. Einzelne Schritte sollten vielmehr rückgängig gemacht werden können und das Programm sollte zumindest zum Speichern auffordern, bevor der verzweifelte Nutzer es schließt.

Bei den Tests werden neben der Beobachtung verschiedene Methoden angewandt, deren Spektrum von Logfile-Analysen über Interviews und Checklisten bis zum lauten Denken beim Klicken reicht. Dabei sollen die Probanden zum Beispiel eine Tabelle bearbeiten und dabei erklären, warum sie so vorgehen, wo sie hängen bleiben, ins Grübeln geraten oder ob sie doch alles ganz logisch finden.

Zusammen mit einem Videomitschnitt und der Aufzeichnung von Bildschirmsignalen macht sich eine spezielle Auswertungssoftware an die Analyse. Sie wertet das Video automatisch statistisch aus. Die Fraunhofer-Forscher müssen das Programm vorher lediglich mit Fragen füttern, zum Beispiel danach, wie oft die Probanden das falsche Icon anklickten. „Auf diese Weise wird ein Video in Zahlen gefasst“, sagt Joedick.

Die Laborleiterin und ihr Team hat mit der Auswertung allerdings noch genug zu tun: Am Ende steht eine Liste von Verbesserungsvorschlägen, die gängigen Usability-Normen und ISO-Standards gerecht wird. Ziel ist immer, intuitiv bedienbare Benutzeroberflächen zu schaffen: „Ein Interface muss leicht erlernbar, effizient, schnell erinnerbar und fehlertolerant sein“, fasst Joedick zusammen. Der Aufwand lohne sich aber, da nichts teurer sei, als einen Flopp zu entwickeln.

ZDNet.de Redaktion

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