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Worldcom-Pleite: Chef der Wall Street fleht Aktionäre an

Wenn der Chef der Wall Street in flehende Worte verfällt, dann ist die Lage wirklich ernst. „Bitte seien Sie geduldig“, beschwor Richard Grasso am Wochenende im Fernsehen die Anleger. „Bitte tun Sie nichts, was Ihnen emotional gut tut, aber langfristig ein Fehler sein wird.“ Doch die von den Bilanzaffären ausgelöste Vertrauenskrise an den weltweiten Aktienmärkten geht inzwischen zu tief, als dass solche Appelle das Klima rasch wenden könnten – zumal die Hiobsbotschaften nicht abreißen. Nur wenige Stunden nach Grassos Appell meldete der skandalgeschüttelte US-Telefonriese Worldcom (Börse Frankfurt: WCO) Konkurs an und läutete damit eine wohl weitere bange Woche an den Börsen ein.

Schon am Freitag war der Dow Jones zwischenzeitlich unter die 8000 Punkte gefallen; für diese Woche wurde befürchtet, dass der Index erstmals seit 1998 unter diese psychologisch bedeutsame Marke schließen könnte – auch wenn das Börsenbarometer am Montag nach den hohen Verlusten der Vorwoche zunächst wieder ins Plus drehte. Nach den Skandalen der vergangenen Monate schließt niemand mehr neue dramatische Enthüllungen über gefälschte Bücher und korrupte Manager aus. Und auch wenn sich Worldcom mit seiner Flucht unter das schützende Dach des US-Konkursrechts zunächst einmal etwas Luft verschafft hat, birgt diese größte Firmenpleite der der US-Geschichte nicht überschaubare Risiken für die Gesamtwirtschaft.

Andererseits sind die Grunddaten der US-Konjunktur durchaus solide: ein Wachstum von 5,6 Prozent im ersten Quartal, eine minimale Inflationsrate von 0,1 Prozent im Juni, die niedrigsten Zinsen seit 30 Jahren. US-Präsident George W. Bush und Notenbankchef Alan Greenspan wollen deshalb von Krisenstimmung nichts wissen: „Ich sehe die Zukunft der Wirtschaft optimistisch. Alle Zutaten für das Wachstum sind da“, so Bush Ende der vergangenen Woche. Der Konkursantrag von Worldcom verdunkelte zwar weiter die Stimmung an der Wall Street, kam aber nicht überraschend. Bereits Ende Juni hatte der Konzern zugegeben, über fünf Quartale hinweg Verluste in der Gesamthöhe von 3,9 Milliarden Dollar fälschlich als Kapitalanlagen deklariert hatte. Die Pleite des Konzerns war seitdem erwartet worden. Der Konkursantrag erlaube es, „Geld zu organisieren, um voranzukommen“, erklärte Firmenchef John Sidgmore. Er hatte den Posten erst vor wenigen Monaten vom geschassten Unternehmensgründer Bernie Ebbers übernommen, der sich großzügig mit Krediten aus der Firmenkasse bedient hatte und auch für die Bilanzfälschereien mitverantwortlich gemacht wird.

Das US-Konkursrecht erlaubt es Worldcom, weiter seinen Geschäften nachgehen, während das Unternehmen gleichzeitig einen Sanierungsplan ausarbeitet. Sidgmore konnte für die Sanierung bereits einen Übergangskredit von zwei Milliarden Dollar beschaffen. Einige Experten erwarten, dass Worldcom in mehrere Teile zerfällt, die dann von der Konkurrenz geschluckt werden könnten. Denkbar ist aber auch, dass die Worldcom-Pleite den gesamten US-Telekommunikationssektor tiefer in den Abwärtsstrudel zieht. Die Firmen der Branche sind infrastrukturell und finanziell stark verflochten. So müssen die Geschäftspartner nun befürchten, dass die monatlichen Worldcom-Zahlungen in zweistelliger Millionenhöhe ausbleiben.

Schon jetzt aber hat nicht nur Worldcom, sondern auch die Konkurrenz mit riesigen Schuldenbergen zu kämpfen. Trotz der Ungewissheiten, die aus den Firmenskandalen erwachsen, gibt es bisher keine konkreten Anzeichen, dass sich die Vertrauens- zu einer Wirtschaftskrise auswachsen könnte. Die Wall Street tröstet sich derweil mit dem Spruch, dass es immer ein Licht am Ende des Tunnels gibt. Wann das Licht zu sehen sein wird, war ungewiss. David Kotok, Analyst bei Cumberland Advisors erwartete einen weiteren Absturz des Dow Jones um 600 bis 700 Punkte. Doch bis Ende Oktober werde der Trend wieder nach oben zeigen. Börsenchef Grasso appellierte derweil an die Anleger, langfristig zu denken: Im Verlauf der Geschichte habe die Wall Street ihnen reichlich Rendite beschert. Dies werde auch in Zukunft so sein.

ZDNet hat in einem News-Report den Aufstieg und Fall der New Economy festgehalten.

Kontakt: Uunet Deutschland (MCI-Worldcom-Tochter), Tel.: 0231/9720 (günstigsten Tarif anzeigen)

ZDNet.de Redaktion

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