Führende Linux-Entwickler diskutieren Scheitern auf dem Desktop

Bei Google+ haben sich führende Linux-Entwickler einen heftigen Schlagabtausch zum ausbleibenden Erfolg des Open-Source-Betriebssystems auf dem Desktop geliefert. Den Anlass lieferte ein wütender Artikel von Miguel de Icaza, dem einstigen Mitgründer des Gnome-Projekts für Linux. Er hatte die Schuld den Kernelentwicklern wie auch den miteinander konkurrierenden Linux-Distributionen zugewiesen.

Linux ist heute die Grundlage von Mobilbetriebssystemen, hat im Servermarkt abgehoben und die Voraussetzungen für das „offene Web“ geschaffen. Linux auf dem Desktop zu unterstützen aber ist laut de Icaza für unabhängige Entwickler zu einer Belastung geworden. Inkompatibilitäten hätten das Ökosystem für Drittentwickler vernichtet: „Um es zusammenzufassen: (a) Die erste Dimension besteht darin, dass sich die Dinge zu schnell ändern, was proprietäre und Open-Source-Software gleichermaßen bricht; (b) Inkompatibilität zwischen Linux-Distributionen.“

Die Ursache suchte de Icaza vor allem in der Entwicklerkultur und griff Linux-Gründer Linus Torvalds direkt an, der „schon vor Jahren den Ton für unsere Community vorgab, als er die Binärkompatibilität für Gerätetreiber aufgab“. Für den Desktop tätige Entwickler hätten weniger Einfluss gehabt als die Kernel-Entwickler und sich nicht gegen ihre Vorgaben wehren können.

„Eine der wesentlichen Kernel-Regeln bestand immer darin, dass wir niemals externe Schnittstellen brechen“, widersprach Torvalds. „Diese Regel galt seit dem ersten Tag, obwohl sie erst in den letzten Jahren deutlicher formuliert wurde. Die Tatsache, dass wir interne Schnittstellen brechen, die im Anwendungsbereich gar nicht sichtbar sind, spielt überhaupt keine Rolle. Das ist nichts weiter als eine rhetorische Finte, die der Ablenkung dient.“

„Ich musste einfach lachen“, pflichtete mit Alan Cox ein weiterer renommierter Linux-Entwickler bei. „Da war KDE, und dann kam Miguel daher und schuf genau die Verwirrung, über die er sich jetzt lauthals beschwert.“ De Icaza beschreibe eigentlich genau, wie die Gnome-Entwickler ständig ihre Kompatibilität brachen – nicht nur mit ihren Anwendungen, sondern mit Benutzeroberfläche und Konfiguration. „Das ist jedoch kein Open-Source-Leiden, sondern eine Krankheit bestimmter Projekte wie Gnome.“

Torvalds mischte sich nur einmal in die Debatte ein, schloss seinen Beitrag aber gewohnt pointiert: „Einige Gnome-Leute scheinen völlig zu leugnen, worin ihr Problem tatsächlich besteht. Sie beschuldigen heftig alle anderen außer sich selbst. Dieser Artikel sieht wie ein Musterbeispiel dafür aus.“

Als Vorbild preist de Icaza inzwischen Mac OS X, das er als „gut aussehendes UNIX“ und stabiles System, insbesondere aber für seine Rückwärtskompatibilität lobt. „Das Ökosystem, das mit Apples OS X App Store ins Leben gerufen würde, wäre mit Linux heute nicht möglich“, argumentiert er. Er selbst habe sich „in das iPhone verliebt“ und daher sei es für ihn unerlässlich, täglich einen Mac zu nutzen, wenn auch noch immer mit unguten Gefühlen: „Da ich an den Linux-Desktop-Anstrengungen beteiligt war, empfinde ich ein tiefes Schuldbewusstsein, weil ich Gefallen an OS X finde und viel von meiner Arbeit nach dort verlagere.“

[mit Material von Steven J. Vaughan-Nichols, ZDNet.com]

ZDNet.de Redaktion

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