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Sozialdarwinismus in der IT-Branche

Betriebsräte und feste Arbeitszeiten schienen überflüssig. Für die Erholung der Mitarbeiter baute die Firma Tennisplätze oder flog die Belegschaft für eine Woche nach Hawaii. Manches davon mag übertrieben gewesen sein, sorgte aber dafür, dass sich Mitarbeiter in IT-Firmen für etwas Besonderes hielten. Sie sahen es nicht nur als ihre Aufgabe, den Arbeitstag zu überstehen, sondern wollten der Welt darüber hinaus den digitalen Fortschritt zu bringen. So hochtrabend dieses Sendungsbewusstsein klingen mag, so konkret sind die Vorteile: Es erzeugt genau die optimistische Einstellung, die dafür sorgt, dass sich vom Azubi bis zum Vorstand jeder für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich fühlt und sich dafür einsetzt.

Besonders stolz war man auf eine solche Firmenkultur bei Hewlett-Packard, die dort als „HP Way“ bezeichnet wurde. Branchenkrise und Compaq-Übernahme haben dort das optimistische Selbstbewusstsein so nachhaltig zerstört, dass die Folgen inzwischen auf die Unternehmensstrategie durchschlagen. HP propagiert heute für sich und die Kunden das „Adaptive Enterprise“, sprich die Anpassung an die jeweiligen wirtschaftlichen Anforderungen. Daran ist nichts falsch. Die IT-Branche hat ihre Führungsposition in Sachen Zukunftstechnologie an Gen- oder Nanotechnik abtreten müssen. Dort, wie überall, wird IT vernünftigerweise nur noch als Werkzeug gesehen.

Problematisch wird das Ziel eines „Adaptive Enterprise“ erst, wenn es mit sozialdarwinistischen Thesen begründet wird, wie das auf einer HP-Veranstaltung – vermutlich unbewusst – geschehen ist. Dort wurde Darwin gleich mehrmals mit der Erkenntnis zitiert: „Weder die stärkste noch die intelligenteste Spezies überlebt, sondern die anpassungsfähigste“.

Es soll hier nicht darum gehen HP an den Pranger zu stellen, denn in der Wirtschaft ist es längst gang und gäbe Darwins Lehren auf soziale und wirtschaftliche Prozesse zu übertragen. Eine gewisse Berechtigung dafür liegt darin, dass der britische Evolutionsforscher seine Vorstellung von einer Konkurrenz zwischen den Arten den Erfahrungen der beginnenden Industrialisierung entnommen hat. Insofern holt hier die Wirtschaft ein Bild in seine ureigenste Sphäre zurück. Es scheint daher natürlich zu sein, dass sich viele Unternehmen im Konzept des „Survival of the fittest“ wieder finden. Unter diesem Motto wurde zum Beispiel in der Hochblüte der Megamerger und Dotcom-Newcomer immer wieder diskutiert ob es eher die Großen sind, die die Kleinen verschlingen, oder eher die Schnellen, die die Großen überholen.

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ZDNet.de Redaktion

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