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Eine Welt ohne Würmer

Schadenfreude beiseite. Tatsache ist: Microsoft, das Unternehmen, das uns seine Vision des Trustworthy Computing verkaufen will, hatte erhebliche Probleme mit seinem eigenen Netzwerk aufgrund von Ausfällen bei seinen eigenen Produkten und Verfahren. Dieselbe Attacke legte tagelang Unternehmenssysteme und das Internet lahm. Es ist allgemein bekannt und Microsoft bewusst, was dies für seinen bereits angeschlagenen Ruf bedeutet. Niemand weiß, welche Auswirkungen dieser Vorfall für die Einsatzkräfte des Unternehmens haben wird, die nach wie vor bei Firmen und Behörden in der ganzen Welt versuchen, die Verantwortlichen von einem Wechsel zum Open-Source-System Linux abzuhalten. Doch man kann es sich vorstellen. Es werden unzählige Artikel erscheinen, in denen die Folgen des Angriffs vom vergangenen Wochenende für Microsoft analysiert werden. Dieser Artikel zählt jedoch nicht dazu.

Die interessantesten und wichtigsten Schlussfolgerungen betreffen nämlich nicht nur Microsoft: Sie stellen die Zukunft der IT-Technologie als Ganzes infrage. Die Vorfälle des Wochenendes weisen drei Aspekte auf, die nachdenklich stimmen sollten: Der für den Angriff genutzte Bug im Code war längst bekannt (seit sechs Monaten war ein entsprechendes Fix verfügbar), trotz eines wenig gezielten Vorgehens traf die Attacke zahlreiche vernetzte Systeme und es hätte alles noch viel schlimmer kommen können.

Zunächst zum ersten Punkt: SQL Slammer installierte sich lediglich im Speicher des Opfers und versendete Kopien von sich selbst. Dies genügte zwar um Netzwerke zu überfluten und Router zu blockieren, doch versuchte der Wurm nicht Festplattenspeicher zu überschreiben, Datenstrukturen zu beschädigen, sich durch Mutationen oder auf andere Weise vor dem Auffinden zu schützen oder neue Angriffsmethoden zu finden. Er versuchte nicht einmal, Dateien durch Kopien von sich selbst zu infizieren – er blieb einfach nur im Speicher. All die genannten Punkte gehören jedoch zum Repertoire der Urheber von Würmern. Wir können also nur dankbar sein, dass der Autor von SQL Slammer diese Fähigkeiten nicht eingebaut hat. Doch schon in der nächsten Woche könnten wir weniger Glück haben.

Dann wäre da noch der Punkt, dass Hunderttausende von Systemen, die offenbar nicht mit der fehlerhaften Software – SQL Server 2000 – arbeiteten, ebenfalls betroffen waren. Dies war zum Teil ein Nebeneffekt des erzeugten Traffics und zum Teil lag es daran, dass sie die infizierte Software doch irgendwo als Komponente eines anderen Systems nutzten. Ein weiteres Problem bestand darin, dass ganze Netzwerke zusammenbrachen: Da SQL Slammer nur im Speicher platziert war, genügte es den Rechner auszuschalten um ihn loszuwerden. Wenn man anschließend jedoch wieder auf ein infiziertes Netzwerk zugriff, war der Wurm innerhalb weniger Sekunden wieder da. Der einzige Ausweg bestand darin, die Internetverbindung ganz zu unterbrechen, alle Geräte herunterzufahren und dann komplett neu zu starten. Eine Schwachstelle genügt um in wenigen Augenblicken ganze Netzwerke zu infizieren. SQL Slammer, der nur 376 Bytes lang ist, ungefähr die Länge für ein Vaterunser, legte innerhalb weniger Stunden das halbe Internet lahm. Davon betroffen waren Netzwerke für Geldautomaten, Polizei- und Feuerwehrsysteme, Regierungsbehörden und andere Stellen, von denen man eigentlich erwartet, dass sie vom Internet unabhängig sind. Sie sind es nicht. Niemand ist es.

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ZDNet.de Redaktion

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