Virtueller Friedhof der Dotcoms lockt Surfer

Die Internet-Seiten dieser Welt sterben manchmal schneller als ein Websurfer „dot.com“ sagen kann. Ein New Yorker hat sich das Ziel gesteckt, wenigstens einen Teil des virtuellen Angebots vor dem Mülleimer der Geschichte zu retten. „Es ist meine Hoffnung“, sagt der 45-jährige Steve Baldwin, „dass diese Internetseiten als Erinnerung an die ruhmreiche und verrückte Gründerzeit des Webs dienen werden“.

„Denn“, fügt er an, „niemand schaut zurück in diesem Medium des ‚Hier und Jetzt'“. Baldwin, der eigentlich freier Online-Journalist ist, bewahrt seit 1996 auf seinen „Ghostsites“ hunderte abgebrochener Projekte, fehlgeschlagener Versuche und schlecht durchdachter Ideen vor dem Nimmerwiedersehen. Unter seinen etwa fünfhundert Webseiten finden sich viele Skurrilitäten – wie zum Beispiel die Falschmeldung der inzwischen verflossenen Webseite „Pathfinder“ des Medien-Riesen Time Warner, der ehemalige US-Footballstar O.J. Simpson sei schuldig gesprochen worden.

Oder die Seite der Handelsfirma „24/7.com“ (24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche geöffnet), die verkündet, „Sie sind mit 24/7 verbunden. Leider sind wir geschlossen“. „Mein Ziel ist nicht, über die zu lachen, die abgestürzt sind, sondern ihren letzten Auftritt für die Nachwelt zu erhalten“, erklärt Baldwin. „Viele dieser Seiten verdienten wohl den Tod, weil sie so bescheuert waren.“ Dennoch finde er das Sterben im Internet deprimierend, besonders diesen Sommer. „Wir leben in einer Zeit der Tränen“, bedauert der 45-Jährige.

Der New Yorker verbringt ein paar Minuten am Tag und einen Tag am Ende des Monats mit den etwa zehn täglichen Neuzugängen seiner Grabstätte, die ihm von den Besuchern seiner Webseite geschickt werden. Unter den Verflossenen finden sich Online-Unternehmen wie etoys, kosmo, mothernature oder eve ebenso wie die Ergüsse schräger Underground-Philosophen. Manche scheiterten wie die religiöse Webseite „biblecentralplus.com“ einfach an unbezahlten Telefonrechnungen.

Private Seiten mit ihren unvermeidlichen Urlaubsfotos nimmt Baldwin nicht auf. Die Zukunft all dieser Fundstücke liegt aus Sicht des virtuellen Grabpflegers in der Nostalgie der Menschen. „Das dauert immer ein wenig. Sehen sie sich alte Werbung an oder die Disco-Musik der 70er Jahre, die kam erst 1994/95 zurück, und die Leute fanden ‚Disco‘ wieder cool. Vielleicht sagen sie in zehn Jahren ‚Wow, so war damals das Internet!'“. Soziologen der Zukunft, so glaubt er, würden wahrscheinlich, wenn sie nach dem Ursprung der Internet-Kreativität suchten, in sein „Museum des E-Scheiterns“ blicken. Baldwin hofft, dass das Internet spätestens dann zur neuesten nostalgischen Mode wird.

ZDNet.de Redaktion

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