Jacob Appelbaum: Zensur, Selbstzensur und Widerstand im Internet

Jacob Appelbaum, Menschenrechtler und Mitarbeiter am TOR-Projekt, war diese Woche für einen Gastvortrag an der Fakultät für Informatik der TU München. ZDNet nutzte die Gelegenheit, um mit ihm über Zensur und Kontrolle im Web zu sprechen.

Der Titel der Folie, mit dem Jacob Appelbaum diese Woche seinen Gastvortrag am Institut für Informatik der TU München begann, war auf den ersten Blick wenig spektakulär: „Wie Regierungen versucht haben, das TOR-Netzwerk zu blockieren“. Aber Appelbaum wäre nicht Appelbaum, wenn er sich detailliert daran gehalten hätte: Der Vortrag wurde vielmehr zu einem flammenden Plädoyer gegen Zensur in jeder Form.

Der Aktivist erzählte unterhaltsame Anekdoten über die Dummheit, Unfähigkeit und Unverschämtheiten von Geheimdiensten und Behörden, erläuterte beiläufig technische Details zur Funktionsweise des TOR-Netzwerks und wog Vorteile und Probleme von Anonymisierungsdiensten ab. Außerdem klagte er mit gepfefferte Worten Firmen an, die Überwachungstechnologien herstellen und in politisch labile Staaten exportieren.

„Glaubt nicht, dass es ein Unfall war“

Jacob Appelbaum bei seinem Gastvortrag an der TU München (Bild: ZDNet).
Jacob Appelbaum bei seinem Gastvortrag an der TU München (Bild: ZDNet).

Das alles war sehr unterhaltsam, aber gelegentlich entstanden kurze Pausen: Die anwesenden „Studenten, Journalisten und drei Polizisten“, so Appelbaum, schluckten dann und waren unheimlich ruhig. Dann wurde deutlich, dass es sich beim TOR-Netzwerk nicht um einen groß angelegten, lang anhaltenden Studentenulk handelt, sondern für viele Menschen in vielen Ländern um eine wichtige oder sogar die einzige Möglichkeit, einigermaßen frei zu kommunizieren. Ebenfalls deutlich wurde, dass das vielen Leuten nicht gefällt: „Wenn ich demnächst sterbe, glaubt nicht, dass es ein Unfall war, auch nicht, wenn es ein Video davon gibt: Es war Mord.“

In seinem Vortrag zeigte Appelbaum, wie sich anhand von Nutzungsstatistiken des TOR-Netzwerks die jüngere, politische Geschichte mehrerer Staaten nachvollziehen lässt. In Thailand wird etwa seit 2006 versucht, potenzielle Nutzer mit DNS- und Webfiltern auf eine Blocking-Site umzuleiten. Zwar ist das schon eine erhebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit, aber vergleichsweise harmlos zu den Aktionen anderer Regierungen.

Iran ist in den vergangenen Monaten nach den USA und vor Deutschland das Land mit den zweitmeisten TOR-Nutzern geworden (Grafik: torproject.org).
Iran ist in den vergangenen Monaten nach den USA und vor Deutschland das Land mit den zweitmeisten TOR-Nutzern geworden (Grafik: torproject.org).

In Tunesien nutzte das Regime im Sommer 2009 etwa Software der Firma Smartfilter, um alle Ports außer 80 und 443 zu blocken. Und Port 443 konnte für missliebige Personen individuell geblockt oder überwacht werden. Indem technisch versierte Anwender TLS über Port 80 tunnelten, konnten sie das bald umgehen. Neben weiteren Beispielen aus Vietnam und dem arabischen Raum ging Appelbaum besonders ausführlich auf China ein. Das Land ist die größte Herausforderung für die TOR-Betreiber, einfach deshalb, weil es über nahezu unbegrenzte Ressourcen verfügt. Dass China, wie zum Beispiel Mauretanien, das Wettrennenn irgendwann einfach aufgibt, weil es ihm zu anstrengend wird, ist unwahrscheinlich.

Zensur in China und Syrien

Aber in China war wie in vielen anderen Ländern auch festzustellen, dass erst nachdem die Behörden begonnen hatten, die vergleichsweise kleine Gruppe von TOR-Nutzer zu blockieren, die Anzahl der Nutzer zwar kurzfristig rückläufig war, dann aber erheblich anstieg. Appelbaum erklärt sich das damit, dass die Menschen sich oft über die repressive Struktur von Regierungen hinwegtäuschen. In dem Augenblick, in dem diese einschneidende Maßnahmen, etwa Internetblockaden, ergreifen, werde jedoch einer deutlich größeren Anzahl die verbrecherische Natur ihrer Regierung bewusst – und der Wunsch nach anonymer Kommunikation steige.

Die habe aber auch ihre Tücken. Zum Beispiel setze Syrien die Filtertechnologien von Blue Coat geschickt ein. Es gehe den Kontrollbehörden dabei offenbar gar nicht darum, die anonyme Kommunikation zu unterbinden, sondern in den meisten Fällen darum, die Nutzer anonymer Kommunikationswege aufzuspüren, um sie dann gezielt ins Visier zu nehmen: „In Syrien kämpfen die Menschen nicht nur gegen die Maschinengewehre des Unrechtsregimes, sondern auch gegen Netzwerkingenieure aus Palo Alto“, so Appelbaum.

In den Zusammenhang brach Appelbaum auch eine Lanze für die Diversität des Netzwerks: Gerade die Vielfalt ermöglich es, dass Einzelne darüber anonym kommunizieren. Das es dabei gelegentlich auch zu Missbrauch kommt, ist seiner Ansicht nach ein Übel, das hingenommen werden muss: Der Preis der Freiheit ist, dass sie auch den Feinden der Freiheit Spielraum bietet.

„Deep Packet Inspection gehört verboten“

Für Appelbaum reicht es nicht aus, den Export von hierzulande teilweise unzulässiger Überwachungstechnologien von Firmen wie Blue Coat, Cisco, FinFisher, Smartfilter, Siemens oder Websense kritisch zu sehen. Man müsse sich auch fragen, warum solche Technologien überhaupt produziert würden – und nicht nur warum Regierungen, sondern auch, warum Firmen damit Kontrolle ausüben wollten. „Deep Packet Inspection in Überwachungssystemen ist vergleichbar zu Landminen: sie gehört verboten“, so Appelbaum.

Die Statistiken des TOR-Projekts zeigen auch, dass Zensur langfristig nur selten schafft, das Bekanntwerden von Tatsachen zu unterdrücken: In den meisten Fällen führt sie dazu, dass mehr Menschen bewusst wird, dass ihre Rechte eingeschränkt werden und sich mehr von ihnen engagieren.

ZDNet sprach am Rande seines Vortrags an der TU München mit Jacob Appelbaum über Zensur im Internet, sowohl durch Staaten, als auch durch marktbeherrschende Firmen. Das Video fasst das Gespräch zusammen.

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