Foxconn: vielleicht doch kein so schöner Arbeitsplatz

Eine saftige Gehaltserhöhung soll die Mitarbeiter zufriedenstellen und Steve Jobs lobt die Freizeiteinrichtungen. Ist also wieder alles in Butter beim Auftragsfertiger Foxconn? Eine aktuelle Reportage einer französischen Tageszeitung zeichnet ein anderes Bild.

Vor rund drei Wochen tauchten Fotos eines Journalisten auf, der sich für einen Monat als eine Art chinesischer Günter Wallraff bei Foxconn eingeschlichen hatte. Sie gossen Öl ins Feuer der bereits länger andauernden, aber nie so richtig in Gang gekommenen Diskussionen um die Arbeitsbedingungen und die Selbstmorde bei Auftragsfertiger Foxconn. Das taiwanische Unternehmen beschäftigt rund 400.000 Menschen – vor allem in China – und ist einer der wichtigsten Lieferanten von Firmen wie Apple, Dell und HP.

Diese drei mischten sich dann auch sofort ein. Sie versprachen, die Selbstmorde von Foxconn-Mitarbeitern zu untersuchen. Während Dell und HP recht allgemein gehaltenen Erklärungen abgaben, wie sie wohl in jedem Handbuch für Krisenkommunikation zu finden sind, lehnte sich Apple, das bei Foxconn iPhones, iPods und Macbooks bauen lässt, deutlich weiter aus dem Fenster.

„Die Selbstmorde bei Foxconn haben uns tief berührt und bestürzt“, teilte der Konzern via Bloomberg mit. Man fühle sich verpflichtet, bei Lieferanten für ordentliche Arbeitsbedingungen zu sorgen und sicherzustellen, dass Beschäftigte mit Würde und Respekt behandelt werden. „Wir stehen in direktem Kontakt mit dem Management von Foxconn und haben den Eindruck, dass sie die Vorfälle sehr ernst nehmen.“

„Foxconn beutet seine Arbeiter nicht aus“

Anlässlich der Konferenz All Things Digital hat Steve Jobs nochmal eins draufgelegt. „Foxconn beutet seine Arbeiter nicht aus“, so die klare Ansage des Apple-Chefs. Nur zur Erinnerung: Der Durchschnittslohn beträgt dort 105 Euro – was immerhin über dem Durchschnittslohn in anderen Werken liegt.

Mehr noch: Für den Apple-Chef ist die Fabrikstadt von Foxconn sogar ein lauschiges Plätzchen. „Besucht man den Ort, ist es natürlich eine Fabrik, aber trotzdem gibt es dort Restaurants, Kinos, Krankenhäuser und Schwimmbäder. Für eine Fabrik ist es ein ziemlich netter Platz“.

Jobs sieht nicht die Arbeitsbedingungen als Grund für die Selbstmorde und die Selbstmordversuche, sondern vielmehr die Entwurzelung der zumeist sehr jungen Menschen, die ihr stark ländlich geprägtes Umfeld verlassen haben, um bei Foxconn eine Arbeit zu finden. Dennoch kümmere sich Apple um die Situation. Laut chinesischen Medienberichten subventioniert der US-Konzern Lohnerhöhungen für die Arbeiter, die seine Produkte mitproduzieren. Die Foxconn-Direktion hat inzwischen zudem eine deutliche Gehaltserhöhung versprochen – zumindest denjenigen, die schriftlich zusichern, keine Selbstmordabsichten zu hegen.

„Ich denke, Apple ist eines der Unternehmen der Branche – und vielleicht sogar aller Branchen – die mit die beste Arbeit macht, um die Arbeitsbedingungen bei seinen Lieferanten zu überwachen“, so Jobs weiter. In der Tat meldet Apple regelmäßig freiwillig arbeitsrechtliche Verstöße seiner Zulieferer und drängt auf Abhilfe. Und mit dem Problem steht Apple in Zeiten immer komplexerer Lieferketten auch nicht alleine da. Auch Microsoft geriet dieses Jahr schon einmal wegen Arbeitsbedingungen bei einem chinesischen Lieferanten ins Gerede.

Doch nicht ganz so rosarot

Jobs hat nicht ganz Unrecht: Die von ihm genannten Einrichtungen gibt es in den Fabrikstädten zwar, aber kaum einer der Angestellten benutzt sie – was bei sechs Arbeitstagen mit einem Zwölf-Stunden-Tag vielleicht auch nicht verwunderlich ist. Und ganz sicher ist die jetzt weltweit bekannt gewordene Fabrik in Shenzen nicht die schlimmste in China.

In einer aktuellen Reportage der französischen Tageszeitung Libération erklärt etwa einer der befragten Arbeiter, dass die Bezahlung sowie die Arbeitsbedingungen wesentlich besser seien als in den kleineren Fabriken, in denen er zuvor gearbeitet habe.

Leider heißt das nicht viel: So sind in dort zehn Personen in einem Zimmer untergebracht, vier Männer und sechs Frauen. Es herrscht militärische Disziplin: „Man darf sich nicht scheuen ein Diktator zu sein, wenn es zum Wohle aller ist“, heiße es etwa im Handbuch für die Vorarbeiter. Schikanen und ein ungeheuer hoher Arbeitstakt seien die Folge – und das nicht nur bei den einfachen Arbeitern. Ein Ingenieur soll an Überlastung gestorben sein, nachdem er 24 Stunden ununterbrochen gearbeitet habe.

Wer nur acht Stunden am Tag arbeitet, kommt laut der Reportage im Monat auf 900 Yuan, rund 108 Euro. Da die meisten eine Familie im Heimatdorf mitversorgen müssen, ist das zu wenig. Also machen fast alle Überstunden. Dabei steigt die Fehlerrate. Und Fehler werden vom Gehalt abgezogen.

Die Familien der Selbstmordopfer erhielten zwischen 100.000 und 400.000 Yuan Entschädigung (zwischen 12.000 und 48.000 Euro). Darin sehen viele, so spekuliert der Reporter von Libération, einen Grund für deren Taten: Der eine oder andere verzweifelte, instabile und überforderte Jugendliche könnte das als Chance gesehen haben, durch sein Opfer die Zukunft seiner Familie auf lange Sicht zu sichern. Klingt für uns vielleicht wirr, ist aber in Chinas Gesellschaft sicher gar nicht so abwegig.

Wer trägt die Schuld?

Das klingt dann alles schon nicht mehr nach dem von Jobs beschriebenen Arbeiterparadies. Wer hat Schuld daran? Foxconn, das immerhin mehr bezahlt als der durchschnittliche chinesische Zulieferer? Apple, Dell oder HP, die sich nicht ausreichend um die Einhaltung gewisser Standards bei ihren Zulieferern kümmern? Oder ist es einfach ein vielleicht trauriger aber unvermeidlicher Prozess, der sich zwangsläufig durch die weltweit verteilten und minutiös durchgeplanten Lieferketten der IT-Konzerne ergibt und gar nicht aufzuhalten und kaum zu kontrollieren ist? Oder liegt die Schuld am Ende vielleicht beim Verbraucher, weil er auf der ständigen Suche nach dem größten Schnäppchen zuverlässig zu dem unter den schlechtesten aber günstigsten Bedingungen gefertigten Produkt greift?

Wenn man etwas drüber nachdenkt, fällt es schwer, den Stein in die richtige Richtung zu werfen. Unterm Strich kleben aber an jedem IT-Produkt aus China ein bisschen Schweiß, Tränen und manchmal auch Blut. Echte Veränderung würde nur die Verlagerung der Fertigung in Länder bringen, die diese Produkte auch abnehmen, also nach Europa oder Nordamerika. Aber der Zug ist schon längst abgefahren – denn wer wäre schon bereit, für ethisch gefertigte Produkte mehr zu bezahlen. Sie etwa?

Themenseiten: Analysen & Kommentare, China, IT-Business, IT-Jobs, Steve Jobs

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