Hinzu kommen Sicherheitstechnologien und Planungstools für die enge Mensch-Maschine-Kollaboration, die KI-generierte Bewegungen von Robotern absichern können. Was die kognitive Robotik kann und wie die dynamische Arbeitsraumüberwachung funktioniert, demonstrieren die Forschenden auf der Robotik-Messe Automatica, die vom 24. bis 27. Juni in München stattfindet (Halle A4, Stand 319).
Die KI-basierten Lösungen sollen Robotern die notwendigen kognitiven Fähigkeiten verleihen, um in unstrukturierten, sich verändernden Umgebungen autonom zu agieren. Ein weiteres Ziel liegt darin, komplexe Prozesse wie die Montage und Demontage im industriellen Umfeld oder die Handhabung von Objekten im Pflegebereich zu automatisieren.
Neue Anwendungsfälle
Projektions- und kamerabasierte Sicherheitstechnologien sollen es Robotern mit KI-basierter Bewegungssteuerung ermöglichen, zuverlässig auf Veränderungen zu reagieren, sich an neue Aufgaben anzupassen und die Anwendung sicher zu betreiben. Laut Fraunhofer eröffnet sich damit ein breites Spektrum neuer Anwendungsfelder, die bisher der konventionellen, auf spezifische, eng definierte Aufgaben beschränkten Robotik verschlossen blieben.
»Kognitive Roboter können aus Erfahrungen lernen, selbstständig Entscheidungen treffen und sich an verschiedene Szenarien anpassen. Für Pick-and-Place-Aufgaben, die das Greifen und Ablegen von Bauteilen umfassen, muss ein kognitiver Roboter nicht mehr lernen, wie die einzelnen Werkstücke aussehen, bevor er sie greifen kann. Stattdessen erfasst er mit seiner Kamera die Größe, Form, Textur und den Zustand des Objekts und passt sein Verhalten entsprechend an, wobei er mit unterschiedlichen Umgebungsbedingungen umgehen und sogar unterschiedliche Verpackungsmaterialien handhaben kann«, sagt Magnus Hanses, Leiter der Gruppe Kognitive Robotik am Fraunhofer IFF.
Trainieren in der Simulation
Zum Trainieren der eingesetzten KI-Modelle nutzen die Experten Simulationsumgebungen. So simulieren sie beispielsweise Montage- und Demontage-Prozesse – etwa die Entnahme von Motherboards aus einem PC. Im digitalen Raum können beliebig viele virtuelle Roboter parallel und in einem sehr viel höheren Tempo ohne Sicherheitsbedenken trainieren.
Das Lernen in der digitalen Simulation hat Fraunhofer zufolge viele Vorteile, aber auch eine Schwachstelle: Die virtuelle Lernumgebung ist nie zu 100 Prozent deckungsgleich mit der realen Welt. Die Herausforderung für die Forschenden besteht somit darin, den Reality Gap, auch als Sim2Real-Lücke bezeichnet, weitestgehend zu schließen. Es gilt, die Simulation entweder möglichst mit der Realität identisch zu gestalten oder aber maximal viele Varianten der Realität abzudecken, damit das für die KI eingesetzte neuronale Netz lernt zu generalisieren und sich in unbekannten Umgebungen zurechtzufinden.
Dies gelingt den Forschenden unter anderem mithilfe der Domänenrandomisierung (Domain Randomization). Mit diesem Ansatz können sie eine Vielzahl simulierter Umgebungen mit zufälligen Eigenschaften erstellen und ein Modell trainieren, das in allen Umgebungen funktioniert. »Zahlreiche Parameter wie die Beleuchtung beeinflussen die Simulation. Diesen Parametersatz können wir während des Trainings verändern. Der Roboter lernt nicht, die exakte Simulation zu lösen, sondern er versteht das abstrakte Konzept dahinter. Die Realität wird quasi zu einer neuen Variante einer Simulation für die KI«, erläutert Hanses.
Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung
Doch noch steht die kognitive Robotik den Forschenden zufolge vor einer Herausforderung: Aktuell gibt es keine Möglichkeit, KI-generierte Bewegungen von Robotern unter Einhaltung der Sicherheitsnormen abzusichern. Damit KI-basierte Roboter mit Menschen in einer sicheren Umgebung interagieren können, hat Fraunhofer eine Technologie zur Überwachung von Arbeitsräumen entwickelt.
Die neue Lösung hört auf den Namen PARU und nutzt moderne Projektor- und Kameratechnik, um sichtbare Warn- und Schutzfelder direkt um die Maschine herum zu projizieren und das Eindringen von Personen in die Sicherheitszonen zu erkennen. »Nach der Kalibrierung des Projektors und der beiden Kameras werden zunächst virtuelle Erwartungsbilder generiert. Anschließend projiziert der Projektor einen sichtbaren Lichtvorhang um den Roboter und das zu greifende Bauteil gemäß der Abstandsformel aus der relevanten Norm ISO/TS 15066. Dieser Lichtvorhang visualisiert als Sicherheitslinie den Mitarbeitenden den Schutzraum, der nicht vom Menschen verletzt werden darf«, erklärt Prof. Norbert Elkmann, Leiter der Abteilung Robotersysteme am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF. »Kommt ein Körperteil des Arbeiters mit der Linie in Kontakt, wird sie unterbrochen. Die Kameras erkennen, dass sich das Erwartungsbild und das reale Bild unterscheiden – je nach Bedarf stoppt der Roboter sofort in seiner Bewegung oder er verlangsamt seine Geschwindigkeit.«
Sichtbare Sicherheitslinien
Die Sicherheitsbereiche werden dynamisch an die Bewegungen der Maschine angepasst, da PARU immer den aktuellen Zustand des Roboters betrachtet – eine ideale Voraussetzung für den Einsatz in der kognitiven Robotik. »Unsere Technologie ist weltweit einzigartig. Kein anderes System lässt unter Einhaltung der normativen Vorgaben einen geringeren Abstand zwischen Mensch und Roboter zu und hat zugleich einen so geringen Platzbedarf. Dies gelingt, da Kameras und Sensorik nicht nur Rumpf, Arme und Köpfe, sondern sogar Finger erkennen«, so Elkmann.
Die Projektion könne dem Arbeiter zudem anzeigen, wohin sich der Roboter im nächsten Schritt bewegen wird und erhöhe somit das Vertrauen in die Zusammenarbeit mit Maschinen. Die zusätzlich codierten sichtbaren Sicherheitslinien würden unabhängig vom Einfall des Umgebungslichts funktionieren. Fallen Kameras oder Projektoren aus, werde das komplette System automatisch abgeschaltet, so Fraunhofer weiter.
Software für adaptive Robotersysteme
Mit Computer-Aided Safety (CAS) präsentiert das Fraunhofer IFF zudem digitale Sicherheitslösungen auf der automatica 2025, mit denen wirtschaftliche und sichere Mensch-Roboter-Kollaborations-Applikationen (MRK) „effizient gelingen“ sollen. Zur Verfügung stehen demnach produktreife Softwaremodule für die effiziente Berechnung von sicheren Abständen und Geschwindigkeiten. Digitale Assistenten sollen bei der Risikobeurteilung und Sicherheitsabnahme unterstützen. Somit soll es insbesondere Einsteigern leichter fallen, allen Pflichten gemäß der Europäischen Maschinenrichtlinie korrekt und effizient nachzukommen.
Das Tool für die Sicherheitsabnahme funktioniert laut Fraunhofer im Gegensatz zur Kollisionsmessung vollständig digital. Es soll beispielsweise Parameter wie Kollisionskraft und Schmerzeintrittsschwelle berücksichtig und daraufhin die maximal erlaubte Geschwindigkeit des Roboters bestimmen. Die Module sollen sich wahlweise in beliebige Robotersteuerungen oder auch vorhandene Simulationsumgebungen für Planungszwecke integrieren lassen, um wirtschaftliche Vorgaben präzise auf geltende Sicherheitsanforderungen abzustimmen. Das verhindere Planungsfehler und spare Kosten beim Engineering.
Entwickelt wurde CAS auf der Datenbasis von jahrelangen Probandenversuchen, aus denen neue Grenzwerte und weitere biomechanische Kenndaten für eine sichere MRK hervorgehen. Mithilfe systematisch eingestellter Stoß- und Klemmbelastungen wurde die Schmerzseintrittschwelle an mehr als 100 Probandinnen und Probanden ermittelt. Die Ethikkommission und die Klinik für Unfallchirurgie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hatten das Fraunhofer IFF während der Studien begleitet.
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