Quantentechnologie ist ein zweischneidiges Schwert: Sie verspricht exponentielle Leistungssteigerungen in der IT und bedroht gleichzeitig die heute als sicher geltenden Standard-Verschlüsselungsmethoden. François Bitouzet ist Managing Director der VivaTech, Europas größtem Tech- und Start-up-Event. Im Gespräch erklärt er, welche Risiken die Technologie mit sich bringt – aber auch welche Chancen sie jungen Unternehmen bietet.
Herr Bitouzet, wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung bei Quantencomputing?
François Bitouzet: Quantencomputer arbeiten mit Qubits, die sich von klassischen Bits grundlegend unterscheiden. Sehr vereinfacht gesagt, kann ein klassisches Bit nur einen von zwei Zuständen annehmen – entweder 0 oder 1. Es ist entweder „an“ oder „aus“, „wahr“ oder „falsch“. Qubits hingegen können beide Zustände gleichzeitig annehmen, was als Superposition bezeichnet wird. Dadurch ist es Quantencomputern möglich, Berechnungen gleichzeitig auszuführen, anstatt wie beim klassischen Computing nacheinander.
Diese Funktionsweise eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Quantencomputer führen in wenigen Minuten Berechnungen durch, die ein heutiger Supercomputer nur in Tausenden von Jahren bewältigen könnte. Zudem sind sie in der Lage, äußerst komplexe Aktionen auszuführen. So ist es dem französischen Start-up Pasqal zum Beispiel gelungen, mithilfe von Quantentechnologie physikalische Prozesse zu simulieren, von denen der Energiesektor direkt profitiert. Denn Umweltvariablen, die auf Photovoltaik- oder Windkraftanlagen einwirken, lassen sich so viel präziser modellieren als mit klassischen Computern.
Solche praktischen Anwendungen waren bis vor kurzem nur theoretisch denkbar. Quantencomputing ist also auf dem besten Weg in die kommerzielle und industrielle Nutzung.
Welche Folgen hat Quantencomputing für die Cybersecurity?
François Bitouzet: Quantencomputing ist in der Lage, unsere heute als sicher geltenden asymmetrischen Verschlüsselungsmethoden zu knacken. Allerdings hat sich die Cybersecurity-Branche darauf bereits eingestellt und quantensichere Verschlüsselungslösungen wie Post-Quanten-Kryptografie (PQC) und Quanten-Schlüsselverteilung (Quantum Key Distribution, QKD) entwickelt. Dennoch sind die Auswirkungen von Quantentechnologie auf die Datensicherheit nicht zu unterschätzen. Strategien von Cyberkriminellen wie „Harvest Now, Decrypt Later“ (HNDL) bedrohen nationale Sicherheitsinfrastrukturen ernsthaft. Die Quantentechnologie muss also Bedrohungen entschärfen, die sich aus ihrer eigenen Existenz ergeben.
Was genau bedeutet „Harvest Now, Decrypt Later“ und wie stellt sich die Cybersecurity-Branche darauf ein?
François Bitouzet: Bei HNDL sammeln und speichern Cyberkriminelle heute Daten, selbst wenn diese verschlüsselt sind. Ihr Ziel ist es, sie in Zukunft mithilfe von Quantencomputern entschlüsseln zu können. Scott Crowder, Vice President Quantum Adoption bei IBM, hat schon auf der letztjährigen VivaTech darauf hingewiesen, dass Unternehmen schnellstens quantenresistente Sicherheitsmaßnahmen einführen sollten. Seiner Ansicht nach hat die asymmetrische Kryptografie mit dem Aufkommen des Shor-Algorithmus ausgedient. Denn Quantencomputer werden künftig in der Lage sein, die heute üblichen Standardverschlüsselungen von Banken, Webseiten und IT-Infrastrukturen zu brechen.
Wegen dieser HNDL-Angriffe dürfen Schutzmaßnahmen gegen quantenbasierte Angriffe nicht mehr aufgeschoben werden. In Deutschland hat das BSI bereits Anfang 2024 Unternehmen und öffentliche Organisationen dazu aufgerufen, schon jetzt sensible Daten entsprechend zu verschlüsseln. Wir sehen weltweit, dass Organisationen, Unternehmen und Regierungen solchen Aufrufen folgen und erste quantensichere Security-Protokolle testen und einführen. So hat zum Beispiel die Banque de France erfolgreich eine quantenresistente Kommunikation erprobt.
Die bereits erwähnten Technologien wie Post-Quanten-Kryptographie und Quanten-Schlüsselverteilung präsentieren sich vor diesem Hintergrund als strategische Werkzeuge, mit denen sich digitale Infrastrukturen umfassend schützen lassen. Und langfristig betrachtet könnte Quantentechnologie die Cybersicherheit sogar verbessern. Denn Quantenalgorithmen werden Angriffsmuster und Anomalien in Echtzeit erkennen, sodass Sicherheitssysteme deutlich effizienter auf Cyberangriffe reagieren können.
Welches Potenzial bietet sich Start-ups in der Quantenindustrie?
François Bitouzet: Bislang sind die Einstiegshürden durch hohe Anfangsinvestitionen noch groß. Die Mittel dafür kommen derzeit vor allem von großen geopolitischen Akteuren. Und auch wenn die Marktreife kurz bevorsteht: Bisher gibt es nur wenige solide Geschäftsmodelle. Mit dem Fortschreiten der Technologie werden jedoch immer mehr Player die Quantenindustrie für sich entdecken.
Letztes Jahr sahen wir auf der VivaTech bereits 367 Start-ups aus diesem Sektor, und jedes Jahr kommen weitere hinzu. Und das nicht nur im Bereich Computing und Cybersicherheit! Bahnbrechende Innovationen wie Quantensensorik eröffnen Start-ups völlig neue Wege, sich in der Branche zu positionieren. Quantensensoren werden in den unterschiedlichsten Bereichen wie Navigation, Verteidigung oder der medizinischen Diagnostik angewandt und sind ein Paradebeispiel für die Diversifizierung des Quantenmarkts.
Und wie steht Europa in Bezug auf Quantentechnologie da?
In Europa gibt es vielversprechende Start-ups wie Planqc in Deutschland oder Pasqal und Candela in Frankreich. Gerade der deutsch-französischen Zusammenarbeit kommt eine wesentliche Rolle für die künftige Stellung Europas zu. Deshalb findet auf der VivaTech 2025 auch zum vierten Mal ein deutsch-französisches Tech Lab statt.
François Bitouzet
ist Managing Director von VivaTech, Europas größtem Technologie- und Start-up-Event.
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